Mehr als Heilige oder Hure

Eine Frau – fünf Gesichter: Auf ihrem neuen Album „American Doll Posse“ widerlegt Tori Amos die üblichen Klischees.

Düsseldorf. Einfach war Tori Amos ja noch nie. Kapriziös, exaltiert, sensibel, kompliziert, leidenschaftlich und widersprüchlich, so kennt man die amerikanische Sängerin, seit sie 1992 mit ihrem ersten Solo-Album "Little Earthquakes" die internationale Musikszene aufmischte. Mit dem neuen Album "American Doll Posse" (Sony BMG) legt sie in Sachen Komplexität jedoch noch eins drauf - richtiger: sogar fünf.

Denn die rothaarige Songwriterin schlüpft auf ihrem neunten Studioalbum in die Haut von fünf Figuren, die aber eine komplette Frau ergeben. Sie heißen Isabel und Clyde, Pip und Santa, und die letzte von ihnen heißt Tori. Ihre Charaktere haben Vorbilder in der griechischen Mythologie, und sie rebellieren zusammen gegen das Frauenbild in der amerikanischen Gesellschaft.

US-Präsident George W. Bush wird darüber sicher "not amused" sein, denn "American Doll Posse" beginnt mit dem Song "Yo George" - einer heftigen Breitseite gegen den Präsidenten: "We’re heavily gone wrong, America / Mr. Lincoln we can’t seem to find you anywhere" (Wir liegen total falsch in Amerika / Mr. Lincoln, es scheint, wir können Sie nirgends mehr finden), singt Tori Amos zu wehmütigen Klavierakkorden.

"American Doll Posse": Das Album enthält 23 Lieder und ist deshalb von geradezu barocker Länge. Glücklicherweise gelingt es Amos, ihren kopflastigen Ansatz in großartige Melodien und wunderbare Texte zu transformieren. Die Songs sind klar strukturiert, kompakt arrangiert und verzichten auf überflüssige Verzierungen.

Highlights: Einige Warnungen, einige Tipps: Am besten sind das betörende "Bouncing off Clouds", das sensible "Girl Disappearing" oder das innige "Father’s Son". Gewöhnungsbedürftig sind Songs wie das verlärmte "Teenage Hustling", bei dem alles zu viel ist: Zu viel Geleier, zu viel Krach.

Konzert: Am 6. Juni gastiert Tori Amos in der Philipshalle Düsseldorf, Karten: 0211/77 50 57