Vampire Weekend auf dem Weg nach ganz oben
„Contra“ heißt das neue Album von Vampire Weekend – und der Titel ist Programm: Das New Yorker Quartett widersetzt sich weiter sämtlichen Trends.
Ezra Koenig zu beschreiben, fällt nicht sonderlich schwer. Der 24-Jährige ist ein Parade-Popper. Harte Seitenscheitelkante plus betonierte Haartolle, unifarbene Pullis, darunter Hemden, deren Kragen eingeschlagen sind, Wildlederschuhe mit Budapester Muster und gerne auch mal signalrote Sakkos mit gestreiftem Schlips.
Ums kurz zu machen: Der Kopf des zurzeit wahrscheinlich meist gehypten Musik-Quartetts, Vampire Weekend, könnte einem 80er-Jahre-Kaffeekränzchen behütet aufgewachsener Jungunionisten entsprungen sein. Dazu passend: sein leicht wehmütiger Schlafzimmerblick. So haben Roland Orzabel von Tears for Fears oder Tony Hadley von Spandau Ballet auch immer geschaut, bevor’s schön schmalzig wurde.
Zwei Jahre genau ist es her, dass das Debüt von Vampire Weekend für verstörte Pop-Liebhaber sorgte. Eine junge Band machte da Musik, die so unverschämt einfach auf den Punkt brachte, was Pop zu leisten hat, bediente sich dafür aber so ziemlich aller Stilmittel, die bis zu diesem Zeitpunkt entweder verpönt waren oder auf Nimmerwiedersehen in der Versenkung gewähnt wurden.
Brasilianischer Funk tauchte da völlig selbstverständlich neben afrikanischen Beats und karibischen Steeldrums auf. Getragen wurde das Ganze von Gitarrenriffs, die sich eher über die entrückte Schrammelversessenheit der Strokes und der White Stripes lustig zu machen schienen, als ihnen zu huldigen. Dem minimalistischen Garagenrock, der wahrscheinlich der prägendste Trend der Nuller-Jahre war, hatten vier präpotente New Yorker Yuppies einen saftig schmatzenden Todeskuss verpasst. Tschüss Monotonie! Es lebe der Spaß!
Dass die vier adretten Bubis damit einen Nerv trafen, verwundert in der Rückschau nicht sonderlich. Das ewige und ach so geerdete Rumgenöle bierernst dreinblickender Mittzwanziger mit Weltschmerzkomplex ging allmählich ordentlich auf den Senkel. Wie schön, dass es da plötzlich eine Band gab, die unschuldig plätschernde Melodien mit sonnigem Gemüt produzierte. Und das Ganze, ohne einen musikalischen Offenbarungseid zu leisten. Plötzlich hieß es Spinett statt Bassgedröhne. Dur war das neue Moll.
"Wir wissen, was wir nicht wollen", sagte Koenig jüngst im Interview mit einem Fachmagazin, "und das sind diese großen Gitarren, die den kompletten Raum in einem Song einnehmen." Richtig so. Warum die Musik nicht mal wieder in all ihren mannigfaltigen Spielarten wirken lassen? Calypso-Rhythmen treffen auf leiernde C-64-Töne, Ska-Getriebenheit wird durch den Vocoder gezogen.
Was Paul Simon und Talking-Heads-Frontmann David Byrne mit ihren afrikanischen Referenzen in den 1980ern begannen und was von Peter Gabriel mit seinem Worldmusic-Konzept zur Perfektion getrieben wurde, erlebt nun eine skurrile, aber durchweg angenehme Wiederauferstehung. Witzig daran ist, dass sämtliche Bandmitglieder von Vampire Weekend gerade einmal geboren waren, als die ersten Ethno-Pop-Klänge die Charts enterten.
Wahrscheinlich ist es zu hoch gegriffen, Koenig und seine ehemaligen Kommilitonen von der Columbia University New York als eine neue, ideologiefreie Musikgeneration zu begreifen. Denn letztlich führte noch jeder Trend zu einer späteren Kategorisierung. Dass sie sich allerdings nicht um Statussymbole und Dresscodes scheren, die eine Band mit hohem Coolness-Faktor normalerweise ausmachen, wird schon dadurch deutlich, dass sie sich als Bandmaskottchen zuerst das Lacoste-Krokodil zulegen wollten. Ob sie sich letztlich nicht getraut haben oder einfach nur nicht durften, darüber herrscht Schweigen.
Vielleicht ist es auch nur Opposition durch Angepasstheit. Der Titel und das Cover ihres zweiten Albums, das seit gestern auf dem Markt ist, könnten da programmatisch zu verstehen sein. Es heißt "Contra", und zu sehen ist ein rothaariges Mädchen im cremegelben Ralph-Lauren-Shirt. Auch musikalisch gibt es im Grunde nur einen roten Faden, nämlich dass Vampire Weekend gegen so ziemlich alles sind, was nach Stempel oder Schublade klingt.
Zehn Songs wie ein Tag im Ferienlager, aufgekratzter Spieltrieb neben fast schon penetranter Schönwetterentspanntheit. Warum ein solches Album im Winter herauskommt? Ganz klar. Damit in Zukunft das ganze Jahr die Sonne scheint.