Es ist die erste klimaneutrale Inszenierung in Düsseldorf: Doch Bernadette Sonnenbichler verhebt sich am Ibsen-Stoff Peer Gynt lässt Zuschauer ratlos zurück

DÜSSELDORF · Peer Gynt ist eine Odyssee eines Ichsüchtigen, der sich immer wieder neu ernährt und seine Identität verändert. Bernadette Sonnenbichler inszenierte das Drama am Düsseldorfer Schauspielhaus.

Peer Gynt von Henrik Ibsen: Moritz Klaus  und Raphael Gehrmann in der Düsseldorfer Inszenierung.

Foto: Melanie Zanin

Ein Fantast, ein Lügner oder nur ein Träumer mit blühender Fantasie? Peer Gynt – ein hochbegabter Bauernsohn hoch oben aus Norwegens Norden. Er stürzt sich von einem Liebesabenteuer ins nächste, zieht durch die Welt, wurde im 19. Jahrhundert durch Sklavenhandel reich und kehrt eines Tages zurück. Wie ein Labyrinth des Lebens lesen sich die Stationen dieses Titelhelden in Henrik Ibsens Drama. Das nur schwer zu inszenieren ist. Schon Regisseure wie Jürgen Gosch schreckten vor dem Stoff zurück. Jetzt wagt sich Bernadette Sonnenbichler auf der großen Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses an Ibsen. Und scheitert.

Sonnenbichler brach die sowieso schon kompliziert nachzuvollziehende Textfolge (Fassung von Peter Stein und Botho Strauß unter Verwendung von Christian Morgenstern) rabiat auf – und schüttelt alle Figuren und Szenen so durcheinander, dass selbst Ibsen-Kenner Mühe haben, Stationen und Personen (wieder-)zuerkennen. Wer bin ich? Die Frage geht Peer Gynt nicht aus dem Kopf. Und vielen Zuschauern: Wer ist wer? Wer ist wo? Antworten darauf werden verweigert. Sie kommen höchstens manchmal von einigen Mimen – dank ihrer Darstellungskunst.

Drei lange Stunden (inklusive einer Pause) kann man sich zwar an einzelnen Kabinettstücken, Comedy-Szenen, Slapsticks und schauspielerischen Bravour-Leistungen ergötzen. Da entblättert sich der alternde Trollkönig (ein Meisterstück von Alt-Mime Rolf Mautz), während er über Gott und die Welt philosophiert. Oder Heiko Raulin sich als Titelheld physisch verausgabt – trotz einer Beinverletzung, die er sich bei der Generalprobe zugezogen hat. Leicht humpelnd galoppiert Raulin durch Peers Lebensphasen, klettert in Muskelshirt über und durch den Kosmos aus Metall-Gerüsten. Oder Jürgen Sarkiss, der als gehörnter Hof-Troll oder in der Todesszene von Peer Gynts Mutter Aase alle tragikomischen Register zieht.

Der Mythos und Peers unausweichliche Tragödie des ewigen Wanderers und Suchers sind aber nicht zu verstehen. Die Szenen und seine Lebensabschnitte mäandern ungelenk und willkürlich vor sich hin. Obwohl der Abend hoffnungsvoll beginnt: mit einem todkranken Peer Gynt im Krankenbett und einem gewitzten Pathologen, der ihm seinen Leichnam zu wissenschaftlichen Zwecken abkaufen will.

Stationen springen
vor- und rückwärts

Doch dann springen Stationen vorwärts und rückwärts – einer, wie es im Programmheft heißt – „inneren Traumlogik folgend“. Die zahlreichen Sprünge von Zeit und Raum, zwischen Trollen und realen Figuren sind jedoch kaum nachzuvollziehen. Zumal sämtliche Frauenfiguren von Männern gespielt werden. Peers Mutter Aase, Solveig, Ingrid etc. „Jeder/jede hat etwas in sich von Peer“ – so die Regie-Devise. Das mag in einer verständlichen Inszenierung gehen. Doch hier gibt es weder einen roten Faden, noch eine Chronologie, an der sich die Zuschauer orientieren können. Und so sorgen Kerle in Tüllröcken, die wie Frauen sprechen und tänzeln für schrille, schräge Travestie-Nummern. Inszeniert man deshalb Peer Gynt?

Es darf dennoch kurz gelacht werden. Doch schnell versinkt der Abend erneut in seltsame Ratlosigkeit: Regisseurin Sonnenbichler verweigert eine Struktur oder einen Hinweis auf den Weg aus ihrem verkopften Traum-Labyrinth.

Nachzuvollziehen höchstens, wenn man die 21 Stationen der Handlung (nach der Zählweise der Regie) im digitalen Programmbuch studiert. Dann erahnt man vielleicht, was und wo anzufangen ist mit „Kreuzzug dem Tod“, „Erkennst Du das Ferkel nicht an seinem Fell?“, oder „Wären Sie so liebenswürdig, mir Ihren Kadaver zu vermachen?“

Der Abend – eine vertane Chance? Sicherlich in Sachen Peer Gynt. Und der außergewöhnliche, möglichst klimaneutrale Produktionsrahmen, der im Vorfeld mit größten Erwartungen verknüpft war? Immerhin hat die Bundeskulturstiftung Düsseldorfs Schauspielhaus eine beträchtliche Summe für dieses Experiment zur Verfügung gestellt. Für Kostüme, Requisiten und Bühnenbilder standen Fundus und Magazine nicht nur in Düsseldorf und Köln, sondern sogar in Hamburg zur Verfügung. Manches wurde gebraucht gekauft, wie etwa die Gerüste. Die Klimabilanz des Abends? Sie soll jetzt ermittelt werden.

Weitere Termine: 19., 27. Januar, 4., 18., 28. Februar, 21. März. Karten unter Telefon: 0211/36 99 11.