Meinung Erdogans Größenwahn kennt keine Grenzen
Die Türkei, ein verlässlicher und integrer Partner nicht nur in der Flüchtlingskrise? Das glaubt wohl nur noch die Bundesregierung. Ankara nutzt den von der Kanzlerin eingefädelten Deal mit der Europäischen Union schonungslos, um seine dazu gewonnene Macht kräftig auszuspielen.
Selbst gegen ein Erdogan-kritisches Foto in einer Genfer Ausstellung ist man nun vorgegangen. Der Größenwahn im türkischen Präsidentenpalast hat also mit dem Abkommen vollends um sich gegriffen. Und der Verlauf der Böhmermann-Affäre in Deutschland dürfte sein Übriges getan haben. Er war Wasser auf die türkischen Mühlen.
Anders ist es nicht zu erklären, dass die Regierung in Ankara jetzt glaubt, auch noch außerhalb des eigenen Landes die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit unterdrücken oder beeinflussen zu können. Auch westliche Journalisten bekommen dies zu spüren, in dem ihnen die Einreise in das Land verweigert wird. Womöglich gibt es sogar schwarze Listen mit unerwünschten Personen.
Um es mit der Kanzlerin zu sagen - das geht gar nicht unter vermeintlichen Freunden. Und ein Land, dessen Präsident westeuropäische Diplomaten übel beschimpft, der sich durch ein Satiregedicht und ein lustiges Liedchen beleidigt fühlt, kann nicht ernsthaft erwarten, in die EU aufgenommen zu werden. Schon gar nicht, wenn am Bosporus nun darüber nachgedacht wird, sich eine islamische Verfassung zu geben. Das wäre für die europäische Integration der Türkei sicherlich ein weiteres, unüberwindbares Hindernis.
Die Europäische Union und vor allem die Bundesregierung können all diese Entwicklungen nicht mehr schweigend hinnehmen. Ankara überreizt. Klare Worte sind endlich erforderlich. Insbesondere von Angela Merkel. Sie ist durch den Flüchtlingsdeal in den Ruf geraten, sich erpressbar gemacht zu haben. Die Kanzlerin ist dem bislang nicht wirklich entgegengetreten - aber ihr Partner und Widersacher Erdogan hat in den letzten Wochen alles dafür getan, damit sich dieser Eindruck in der Öffentlichkeit verfestigt.
Wichtig war der Kanzlerin, dass die Flüchtlingszahlen sinken und es zu einer geordneten Verteilung der Asylsuchenden kommt. Das ist ihr zum Teil gelungen. Merkels Rücksichtnahme muss aber spätestens dann ein Ende haben, wenn Erdogan die Meinungs- und Pressefreiheit im Ausland ins Visier nimmt und sich noch weiter von den europäischen Werten und Prinzipien entfernt. Das würde zugleich jenen Menschen in der Türkei helfen, die sich eine demokratische und moderne Zukunft für ihr Land wünschen. Davon gibt es viele.
Die Türkei will Geld, die Türkei will von der EU profitieren und sie will Visafreiheit für ihre Bürger erreichen. Irgendwann will sie auch Mitglied der Union werden. Es ist also nicht so, dass kein politischer Gegendruck aufgebaut werden könnte aus Brüssel und aus Berlin. Man muss es dort nur ernsthaft wollen und wagen.