Meinung Flüchtlinge: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Wenn es um Abschiebungen geht, gibt es zwischen fast allen Parteien in diesem Land eine große Einigkeit: Wer nicht nachweisen kann, dass er politisch verfolgt wird, hat in Deutschland kein Bleiberecht.
Das zielt vor allem auf jene Menschen, die ihr Land aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, weil sie bei uns eine bessere Perspektive für ihr Leben sehen. Sie werden abgeschoben. Das klingt gut, damit kann die Politik bei den meisten Wählern punkten. Was in der Theorie des Asylrechts so einfach klingt, ist im richtigen Leben oft sehr kompliziert.
Die Zahlen sprechen für sich: 226 500 Ausreisepflichtige gibt es derzeit hierzulande. Das sind jene Menschen, bei denen ein Verwaltungsgericht bereits geprüft hat, dass die Ablehnung ihres Asylantrags rechtens ist. Trotzdem werden nur relativ wenige von ihnen tatsächlich in ihre Herkunftsländer zurückgebracht. Zum Beispiel, weil es dort konkrete Gefahren für Leib und Leben gibt. Oder weil sie krank sind. Oder weil Papiere fehlen. Oder weil das Herkunftsland die Aufnahme verweigert. Über diese Realität sprechen Politiker nicht gerne. Weil Abschiebungen, die nicht stattfinden, beim Wahlvolk sehr unbeliebt sind.
Die geringe Zahl an Abschiebungen lässt ahnen, wie komplex die Asylklagen vor den Gerichten vielfach sind. Hunderttausende Fälle warten auf Bearbeitung. Die Richter schlagen mit Recht Alarm, weil die schiere Menge der Verfahren die Gerichte lahm legt. Zwei Drittel aller Klagen kommen bereits von abgelehnten Asylbewerbern. Die Richter müssen ausbaden, was das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) verbockt hat. Oft ist die Qualität der Bescheide mangelhaft, weil die Politik vom Bamf vor allem eins erwartet hat — schnelle Entscheidungen.
Eine sinnvolle europäische Flüchtlingspolitik ist teuer und mühsam. Sie muss mehr bieten als schnelle Asylverfahren und rasche Abschiebungen. Zäune und Mauern reichen sicher nicht. Sie verraten nur die Werte des humanen Miteinanders, auf die wir mit Recht so stolz sind. Die Menschen in Afrika werden nur dann in ihrer Heimat bleiben, wenn wir bereit sind, ihre Lebensbedingungen dort zu verbessern. Und eigentlich wären jene 200 000 Migranten pro Jahr, die jetzt in Italien landen, für Europa eine Kleinigkeit — wenn sie denn nur gerecht verteilt würden. Aber diese Art von Solidarität bringt Europa auch zwei Jahre nach Beginn der Krise nicht zustande.