Meinung Merkel geht aufs Ganze
Wie erst am Sonntag öffentlich geworden ist, wurden am 24. Februar 130 Blumensträuße am Kanzleramt abgegeben — als Dank für Angela Merkels offene Flüchtlingspolitik. Initiiert hatte die Lieferung ein Facebook-Nutzer.
Seiner Idee folgten zahlreiche Bürger, die es nicht für selbstverständlich halten, dass die Kanzlerin ihren Kurs beibehält.
Dass das Bundespresseamt selbst über diesen Blumengruß kein Wort verloren hat, beweist, wie schmal der Grat für Merkel ist: Ihre Kritiker hätten das verurteilt, frei nach dem Motto: Die Kanzlerin stürzt die Republik mit Willkommensformeln für Flüchtlinge ins Unglück, sie selbst aber lässt sich für ihre vermeintliche Humanität feiern. Merkel weiß um diese Spannungen — und hat entschieden, auf den Überschwang der Gefühle zu verzichten.
Aber: Merkel hält in der Sache Kurs. In der TV-Talkshow „Anne Will“ hat die Kanzlerin nichts anderes gemacht, als die Republik wissen zu lassen, dass sie von ihrem Weg nicht mehr abweichen wird. Ohne Alternative, alles auf eine Karte: Eine europäische Lösung muss her, Fluchtursachen sind in Syrien zu bekämpfen, sie braucht Zeit, einen Plan B gibt es nicht. Wer immer ihr stets Aussitzen und fehlende Entschlossenheit vorgeworfen hat, er wird konstatieren müssen, dass die Kanzlerin nun gegenteilig unterwegs ist. Sie hat sich entkoppelt von ihrer geifernden Partei, abgehoben von all jenen CDU-Wahlkämpfern, die sich verzweifelt von ihr abzuheben versuchen, um bei den Landtagswahlen in zwölf Tagen keinen Schiffbruch zu erleiden. Merkel ist bereit, ihren Platz in der Geschichte einzunehmen. Selbst dann, wenn ihre Richtlinie sie die Kanzlerschaft kosten sollte. Dazu passt, was sie gestern zu ihrer Zukunft sagte: Sie habe versprochen, dass sie „diese gesamte Legislaturperiode“ zur Verfügung stehe. Alles andere werde „zum geeigneten Zeitpunkt entschieden“, der noch nicht gekommen sei. Eindeutig: Angela Merkel nimmt ihren Abschied in Kauf.