Meinung Verwirrung und Vorwürfe im Fall Amri - Fast wie immer
Dass in der Hauptstadt zu selten durchgegriffen und an vielen Stellen geschludert wird, ist jeden Tag zu beobachten. Kleinkriminelle, Dealer, Verkehrsrowdys werden schon lange nicht mehr unbeirrt verfolgt.
Selbst dann nicht, wenn die überlastete Polizei mal zufällig präsent ist. Daher überrascht es auch kaum, dass in der überforderten Stadt ein Mann nicht in Haft genommen wurde, dem laut Innensenator gewerbsmäßiger und bandenmäßiger Drogenhandel nachgewiesen werden konnte. Eigentlich wie (fast) immer. Nur: Es handelt sich um Anis Amri, den Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt. Der Anschlag hätte somit spätestens von den Berliner Behörden verhindert werden können. Viel früher von denen in Nordrhein-Westfalen.
Nicht nur die Folgen dieses schweren Versäumnisses sind brutal. Brutal ist auch, dass die Fehler im Umgang mit Amri später verschleiert werden sollten. Ausgerechnet vom Berliner Staatsschutz. Also von jenen Beamten, die das Land besonders vor seinen inneren Feinden schützen sollen. Das ist erschreckend. Diese feige Haltung zu eigenen Versäumnissen spricht ebenfalls Bände über den Zustand der Stadt. Verantwortung wird zu oft nur noch weggeschoben. Aber so „funktioniert“ Berlin.
Der jetzige SPD-Innensenator Andreas Geisel kann von Glück sagen, dass er neu im Amt ist. Der Skandal klebt nicht an ihm. Für seinen Vorgänger, CDU-Mann Frank Henkel, gilt das nicht. Seine Rolle muss endlich stärker unter die Lupe genommen werden. Was der Union freilich nicht in den Kram passt, auch nicht der im Bund. Hat sie sich doch gerade erst wieder den Ruf des Schutzpatrons der inneren Sicherheit erarbeitet.
Das Berliner Desaster ist freilich nicht gänzlich vergleichbar mit dem in Nordrhein-Westfalen, wo der Fall seinen Ursprung hat und die Kette der Fehler noch länger ist. Senator Geisel versucht wenigstens, transparent und konsequent aufzuklären. In NRW mauerte Noch-Innenminister Ralf Jäger mit seinem inzwischen berühmten Hinweis, man sei an die „Grenzen des Rechtstaates gegangen“. Bis heute scheint mancher in der SPD noch nicht begriffen zu haben, dass dadurch das Vertrauen der Menschen in die Sicherheitsbehörden und den Staat als Ganzes massiv erschüttert worden ist. Auch deshalb wurden die Genossen in NRW abgewählt. Und auch deshalb gelten sie im Bund nicht gerade als erste Wahl beim Thema Sicherheit.
Die Aufklärung im Fall Amri muss jedenfalls konsequent fortgesetzt werden. Auch mit einem Untersuchungsausschuss im Bundestag in der nächsten Legislaturperiode. Das Gremium könnte noch einiges zutage fördern. Zumindest lehrt dies die Erfahrung aus den bisherigen U-Ausschüssen zu NSU und NSA. Fehler passieren. Wohl wahr. Aber so einfach kann man darüber diesmal nicht hinweggehen. Denn wegen dieser Fehler sind viele Menschen gestorben. Bis heute hat dafür noch niemand die politische Verantwortung klar übernommen. Das ist beschämend.