Entscheidung ohne Fraktionszwang Warum es sinnvoll ist, bei der Impfpflicht das Gewissen entscheiden zu lassen

Meinung · Bei der Abstimmung über eine Impfpflicht soll es im Bundestag keinen Fraktionszwang geben. Gut so.

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Wenn demnächst im Bundestag darüber abgestimmt wird, ob es in Sachen Corona eine allgemeine Impfpflicht geben soll, wird der sonst übliche Fraktionszwang aufgehoben. So will es der wohl künftige Bundeskanzler Olaf Scholz. Eine gute Idee.

Vorweg: Ein Fraktionszwang steht im Widerspruch zu Artikel 38 des Grundgesetzes, wonach die Abgeordneten „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind. Im politischen Alltag stößt dieses Ideal freilich an Grenzen. Für den in der Praxis alltäglichen Fraktionszwang spricht nämlich, dass der Wähler weniger dem einzelnen Abgeordneten als vielmehr der von ihm favorisierten Partei den Auftrag erteilt, das von dieser versprochene Programm zu realisieren. Und dieser Wille muss dann im Parlament umgesetzt werden. Um es plastisch zu machen: Kommt es in den nächsten Jahren zur schrittweisen Umsetzung des Ampel-Koalitionsvertrags im Gesetzgebungsprozess, so kann es nicht funktionieren, wenn jeder Abgeordnete bei den einzelnen Themen so abstimmt, wie es ihm sein Gewissen vorzugeben scheint.

Und doch sind da Bereiche, da ist es richtig, dass diese Fraktionsdisziplin hintansteht und das Gewissen des einzelnen Abgeordneten der Maßstab ist. So etwas gab es immer wieder – bei Fragen von Ethik, von Leben und Tod: Sterbehilfe, Organspende oder Präimplantationsdiagnostik. Hier ist es richtig, den Mandatsträgern einen eigenen Spielraum zu lassen, sie zu nichts zu zwingen. Nebenbei: Die Debatten bei solchen „frei gegebenen Themen“ sind meist die eindrucksvollsten. Auch eine Impfpflicht mit ihren weitgehenden Folgerungen ist so ein Fall. Hier ist es gut, wenn das Pro und Contra ohne Vorgaben von oben entschieden wird. Ja, aus Sicht der Mehrheit in der Bevölkerung, die eine Impfpflicht befürwortet, kann das „schiefgehen“. Aber auch das muss dann hingenommen werden in unserer repräsentativen Demokratie. Das Thema ist nicht auf Basis von Meinungsumfragen zu regeln. Es ist besser in einem frei entscheidenden Parlament aufgehoben.