Gesundheitsminister Jens Spahn – der Selbstsichere

Düsseldorf · In Düsseldorf spricht der Bundesgesundheitsminister über die Anfeindungen gegen ihn und seine Corona-Politik, die Wahlen in Berlin – und in NRW.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf der Bühne des Düsseldorfer Ständehauses.

Foto: dpa/Federico Gambarini

So viel Sicherheitsaufwand gibt es sonst, wenn die Bundeskanzlerin auftaucht. Doch an diesem Abend ist es „nur“ ein Bundesminister, der da vor 400 Zuhörern im Düsseldorfer Ständehaus spricht. Dennoch ist der einstige NRW-Landtag massiv von Polizeikräften „umstellt“. Rein darf nur, wer auf der Gästeliste steht und sich ausweisen kann. Mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist da freilich auch einer gekommen, den viele Menschen für die aus ihrer Sicht zu drastischen staatlichen Maßnahmen in der Corona-Pandemie verantwortlich machen. Daher muss der CDU-Politiker mit Sicherheitspersonal um sich herum leben. Nicht nur an diesem Abend.

„Wie dünn der Firnis der Zivilisation geworden ist“

Im Supermarkt einzukaufen, das verkneife er sich schon länger, sagt der 41-Jährige im Gespräch mit Moritz Döbler, dem Chefredakteur der Rheinischen Post. Das löse einen zu großen Sicherheitsaufwand aus. Spahn erzählt, wie er mal angeschrien wurde, weil wütende Männer nicht die für ihre Kinder geltende Maskenpflicht in der Schule akzeptieren wollten. Spahn brüllt zu Demonstrationszwecken selbst ins Mikro: „Ich glaube Ihnen nicht! Ich glaube Ihnen nicht!“

„Mich beschäftigt, wie dünn der Firnis der Zivilisation geworden ist“, sagt er. Wie hasserfüllt Menschen auf ihn zugehen. Ja, solch eine Aggression habe es auch schon in der Migrationskrise gegeben, aber die Stresssituation der Pandemie, verstärkt durch die sozialen Medien, habe solch ein Verhaltensweise noch zusätzlich getriggert.

Warum Spahn weiterhin gegen eine Impfpflicht ist

Doch, sagt er, er könne sich schon noch frei bewegen, etwa beim Sonntagsspaziergang mit seinem Mann in den Brandenburger Wäldern. Und er nehme den Hass auch nicht persönlich, „aber das beschäftigt mich schon“.

Eben solche Erfahrungen scheinen Spahn darin zu bestärken, den gesellschaftlichen Konflikt um Corona nicht noch durch das Eintreten für eine Impfflicht anzuheizen: „Meine Sorge ist, dass wir bei einer Impflicht zu viele Menschen verlieren. Dass dann das Gespräch gar nicht mehr möglich ist.“

Doch der Gesundheitsminister macht auch deutlich, dass Menschen, die sich nicht impfen lassen, dann auch die Konsequenzen zu tragen haben. Etwa durch die Kostenpflichtigkeit der Tests ab 11. Oktober. Oder auch dadurch, dass jemand, der als Reiserückkehrer in Quarantäne muss, weil er nicht geimpft ist, nicht mit Lohnfortzahlung rechnen dürfe. Eine solche Regelung, wie sie zum Beispiel in NRW geplant ist, halte er für richtig. Wer dagegen halte, das Impfen sei doch eine freiwillige Sache, dem antworte er: „Ja, das stimmt, aber da müssen Sie auch die Konsequenzen tragen.“

Denn von der Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, seien doch immer auch andere betroffen - etwa die Pflegekräfte auf den Intensivstationen.  Spahn appelliert an das persönliche Interesse eines jeden und einer jeden, sich impfen zu lassen.  „Wir werden in Deutschland die Grundimmunität bis zum Frühjahr erreichen“, ist er zuversichtlich. „Entweder durch Impfung oder durch Infektion“. Wer beides nicht wolle, sei nur sicher vor der hoch ansteckenden Deltavariante des Coronavirus, „wenn er sich für sechs Monate zuhause allein einschließt“. Er empfehle allen, die das nicht wollten, den Weg der Immunisierung über die Impfung zu gehen, „das erspart den Pflegekräften viel Arbeit und wahrscheinlich viele Tote“.

Olaf Scholz begeht „besondere Form der Erbschleicherei“

Natürlich kommt das Gespräch so kurz vor der Bundestagswahl auf das politische Rennen. Wenn SPD-Mann Olaf Scholz sich wie ein legitimer Nachfolger der Politik von CDU-Kanzlerin Angela Merkel geriere, so sei das „eine besondere Form der Erbschleicherei.“ Mit eher gebremstem Enthusiasmus lobt Spahn seinen Parteifreund und Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Was dieser alles als Ministerpräsident richtig und gut gemacht habe. Auf die NRW-Landtagswahl im kommenden Frühjahr angesprochen, sagt er, dass es schon günstig für die CDU wäre, mit jemandem ins Rennen zu gehen, der nicht nur NRW-Parteivorsitzender, sondern auch Amtsinhaber, also Ministerpräsident ist. Beides ist zwar derzeit Laschet, aber der will ja nach Berlin. Und ob es bei einem Misserfolg der Union eine  Rückfahrkarte für ihn nach Düssedorf gibt, ist zweifelhaft.

Läuft es also am Ende schon sehr bald sehr schnell, und der Wechsel von Laschet auf den derzeitigen Verkehrsminister Hendrik Wüst kommt zügig? Das lässt sich Spahn freilich nicht entlocken. Erwähnt den Namen des ihm nahestehenden Hendrik Wüst (gleiche Generation, Münsterländer Herkunft) nicht. Aber er hat ja schon sehr laut nachgedacht, was aus seiner Sicht das Beste für die CDU in NRW wäre. Das versteht auch so jeder.

Als das Gespräch auf die nach der letzten Bundestagswahl gescheiterte Jamaika-Koalition kommt, und auf den damaligen Ausstieg der FDP, und ob es dafür nun bald wieder eine Chance geben wird, sagt Spahn kryptisch: das könne für die Beteiligten zu spät kommen. Die FDP wird das gewiss anders sehen, und die Grünen wohl auch. Vor allem die Spahn’sche Begründung für deren Zu-Spät-Kommen. Dass nämlich „die großen Klimaentscheidungen ja schon gefallen sind“. Da runzelt selbst manch einer der Spahn in der Mehrzahl wohlgesonnenen Zuhörer im Ständehaus verwundert die Stirn.

Was Spahn über
Angela Merkel denkt

Wie denn seine persönliche Merkel-Bilanz sei, fragt Gastgeber Döbler den CDU-Mann noch. Dass diese keine feurigen Reden halte, sei ja bekannt, antwortet der. Aber ihre pragmatische sachliche Art habe in den 16 Jahren ihrer Amtszeit gut zu Deutschland gepasst. Es brauche jetzt einen neuen Politikstil. Debatten müssten geführt, Konflikte müssten ausgetragen werden. Doch neben diesem indirekten Vorwurf an die scheidende Kanzlerin hat er aber auch ein Lob für sie dabei. Diese sei immer noch neugierig, zeige ein ehrliches Interesse am Gegenüber. „Andere, die so lange da sind, senden doch nur noch.“

Spahn selbst sendete an diesem Abend knapp 100 Minuten vor den 400 Zuhörern, die sich zuvor mit  Möhren-Carpaccio und „Supreme vom Schwarzfederhuhn“ hatten stärken können. Aber das darf man dem selbstsicheren und rhetorisch trittfesten Mann nicht vorwerfen. Er wurde ja gefragt.