Geschichte Alte Ansichtskarten zeigen den Zusammenhalt der Familie
Burscheid. · Grüße der Lieben kommen heute meist per Mail, SMS oder Whatsapp daher. Dabei sind Postkarten tolle Erinnerungen an die Verbundenheit. Ein Schatz von 220 Karten fiel jetzt Eva Lüdorf (95) in die Hände.
Am 2. Januar feierte die Burscheiderin Eva Lüdorf ihren 95. Geburtstag. Einer der vielen Gäste hielt für die rüstige Seniorin gleich zwei große Überraschungen bereit. Die erste bestand aus einem Großneffen väterlicherseits aus Karlsruhe persönlich, den sie in den vergangenen vierzig Jahren nur zweimal gesehen hatte. Er brachte neben einigen weiteren Verwandten aus dem Familien-Clan auch ein ganz besonderes Geschenk mit: Ein voluminöses Album mit vornehm geprägtem Einband und im Inneren mit 220 säuberlich eingesteckten Ansichtspostkarten der Familie bestückt.
Was heute mal schnell per SMS oder Whatsapp schnell im digitalen Papierkorb landet und nicht erhalten bleibt, hat für die Burscheiderin einen hohen Wert: „Damit ist für mich ein Stück Familiengeschichte erhalten geblieben und konnte wieder aufleben.“
Eva Lüdorf, geborene Lüttgen, schaute genau hin: „Ich habe mich sofort ans Übertragen der Sütterlinschrift gemacht. Niemand sonst aus der Familie konnte das lesen.“ Um die hübschen Bilder erkannte sie auf den meisten Exemplaren in den sehr akkurat gesetzten Buchstaben von minimaler Größe die Handschrift ihres Vaters. Die ältesten Motive trugen die Jahreszahl 1894 – was aus den Poststempeln noch deutlich erkennbar ist.
Auf den Bildern erschienen Sehenswürdigkeiten aus deutschen Städten. Die Reisen per Bahn, Fahrrad und auch per pedes führten den jungen Fabrikantensohn aus Köln-Mülheim in alle Himmelsrichtungen durchs ganze deutsche Kaiserreich. In den interessanten Städten kaufte er eine Ansichtskarte, manchmal auch Poststücke mit Spaßbildern oder heroischen Fotos mit Bezug auf das 25-jährige Dienstjubiläum Kaiser Wilhelm II.
Reisefreudige Student grüßte
von vielen Orten dieser Welt
Auffallend war die Angabe des Adressaten auf den meisten der Grußkarten. Bis zum Beginn des 1. Weltkriegs schickte der reisefeudige Student der Chemie am liebsten an einen seiner Brüder, vergaß aber nie, auch Grüße an die komplette, daheim gebliebene Familie weiterzugeben.
Auf den colorierten Vorderseiten sind nicht nur beeindruckende Baudenkmäler zu sehen. Die Wanderungen gingen auch ins benachbarte Bergische Land. Den Beweis dafür fand Eva Lüdorf mit einer fast verblassten Aufnahme vom Alt-Hilgener Zentrum. Dort ist am rechten Rand der ursprüngliche Brunnen zu sehen, sogar mit der damals notwendigen Leiter für die Wasserholerinnen des Dorfes. Wie es Jahrzehnte später dort aussah, zeigt das Foto von 1972.
Gekauft wurden die Erinnerungsgrüße an keinem Kiosk – sie waren an den Poststellen selbst zu erhalten. Mit einer Briefmarke für fünf Reichspfennige versehen, bekamen die Postkarten am Ankunftsort in Köln-Mülheim noch einmal einen Extrastempel.
Der gute Familienkontakt zur Familie des Großneffen blieb bis heute erhalten. Auch als aus den in der Welt herum reisenden jungen Männern längst Familienväter geworden waren, änderte sich lediglich die Anzahl derer, die aus der Ferne gegrüßt wurden. Eva Lüdorfs Vater setzte seine zierliche Sütterlinschrift sogar auf Karten während seiner aufregenden Reise in den Orient. Über die Bilder aus Konstantinopel, Smyrna und Athen staunten dann seine Kinder.
Unter den auch heute noch 10,5 x 14,8 Zentimeter kleinen Karten gibt es für Eva Lüdorf ein besonders witziges Stück. „Es kamen zwei Postkarten gleichzeitig aus St. Goarshausen/Rhein im Elternhaus an. Auf einer prangte Burg Katz, auf der anderen Burg Maus.“ Eine Anspielung offensichtlich auf so manches Gehader unter den Brüdern.
Im 2. Weltkrieg setzte die nächste Generation die Gewohnheit fort. So wusste die Familie wenigstens etwas davon, wie es den jungen Soldaten in der Kaserne in Potsdam oder im Lazarett erging.
Und für Eva Lüdorf sind die Dokumente eine Bestätigung für das, was sonst nur mündlich überliefert ist. „Es zeigt mir schwarz auf weiß den Zusammenhalt in der Familie.“ Und es ist damit ein Stück Familienkultur für die 95-Jährige, in dem sich hervorragend schwelgen lässt.