Angelika Büscher: „Bildung gehört zur Kernaufgabe der Kirche“
Angelika Büscher, Rektorin der Evangelischen Realschule, über die neue Johannes-Löh-Gesamtschule, einen muslimischen Verkündigungsengel und die Familienbescherung am Vormittag.
Frau Büscher, als Sie vor einem Jahr zur Rektorin der Realschule gewählt worden sind, haben Sie wohl kaum gedacht, jetzt vor der Aufgabe zu stehen, in kürzester Zeit ein Konzept für eine Gesamtschule präsentieren zu müssen.
Angelika Büscher: Stimmt, damit hätte ich in der Tat nicht gerechnet. Vor allem nicht, weil die Realschule gut läuft. Wir hatten eigentlich keine Veranlassung, etwas zu ändern. Das ist bei der Hauptschule anders, weil dort kaum noch Schüler angemeldet wurden. Wir haben dagegen seit Jahren einen steigenden Zulauf. Als ich 2005 die Erprobungsstufe übernommen habe, hatten wir hier 475 Schüler. Im Moment haben wir 519. Aber ich finde die Aufgabe reizvoll, eine Schule ganz neu aufzubauen. Und von den zehn kirchlichen Schulen sind derzeit sieben Gymnasien, zwei Realschulen und eine die Schule für Zirkuskinder. Daher gab es bei der Kirche schon länger den Gedanken, dass wir einen repräsentativeren Querschnitt durch die Schulformen brauchen. In Burscheid ist der Jubel über die Gesamtschule natürlich deswegen besonders groß, weil es damit auch die Möglichkeit gibt, hier Abitur zu machen.
Wie würden Sie Ihr Kollegium derzeit einschätzen: Überwiegt die Vorfreude, die Skepsis oder die Unsicherheit?
Büscher: Ich nehme eine starke Aufbruchstimmung wahr. Die Kollegen überlegen schon bis in die Details hinein, was die neue Schulform bedeutet. Die Fachkonferenzen diskutieren beispielsweise bereits bei den Büchern, ob die auch Sinn für die Gesamtschule machen. Da ist der Blick also schon sehr weit. Wir haben gerade einen Fragebogen ausgegeben, um einen ersten Überblick zu bekommen, wo die Kollegen lieber eingesetzt werden möchten.
Sind Sie mit der Namensentscheidung Johannes-Löh-Gesamtschule zufrieden?
Büscher: Die finde ich genial. Johannes Löh als Mann der Kirche passt zum kirchlichen Schulträger. Außerdem ist er ein Burscheider. Und wenn man in die Biografie guckt, finde ich sehr sympathisch, was ihm als aufgeklärtem Denker wichtig war. Er hat sich sogar mal dagegen gewehrt, auf Kinder Druck auszuüben, damit sie sonntags häufiger in die Kirche gehen. Und er hat sich sehr sozial um das Alltagsleben seiner Gemeinde gekümmert. Das passt gut zu unserem Schulprofil mit den vielen sozialen Projekten, von denen wir auch viele an der Gesamtschule realisieren wollen.
Was macht das Evangelische einer evangelischen Schule aus?
Büscher: Erst mal sind die meisten Lehrer evangelisch, auch wenn wir natürlich einige Katholiken unter uns haben. Dann gehören Andachten und Schulgottesdienste dazu. Im Januar haben die Zehntklässler auf freiwilliger Basis ihre drei Besinnungstage unter dem Motto „Auf dem Weg zu mir selbst“. Da geht es darum, sich klar zu werden, was man nach der Schule machen will und was einem im Leben wichtig ist. Solche Fragen werden natürlich auch an staatlichen Schulen gestellt, aber der Stellenwert ist bei uns größer.
Zählen Sie auch die sozialen Projekte dazu?
Büscher: Auf jeden Fall. Das Sozial-Diakonische ist uns sehr wichtig. Und ich glaube, es gibt nicht so viele Schulen, die das in dieser Fülle haben. An der Schule meiner Kinder war das Projekt „Schüler helfen Schülern“ zum Beispiel eine Art organisierter Nachhilfe, für die es auch Geld gab. Ich finde großartig, dass bei uns die Schüler etwas für Jüngere tun, ohne gleich zu fragen, was sie dafür kriegen. Natürlich bekommen sie Anerkennung und mit dem Abschlusszeugnis vergeben wir auch ein Sozialdiplom, wo wir noch einmal alles aus der ganzen Schulzeit auflisten.
Bei Kirchenfernen begegnet man immer häufiger einem Generalverdacht gegen alles Kirchliche, gerade auch im pädagogischen Bereich. Ärgert Sie das?
Büscher: Ja, ganz eindeutig! Weil ich glaube, dass sich viele Menschen gar nicht richtig damit auseinandergesetzt haben, was wir eigentlich inhaltlich vermitteln wollen, oder von Vorstellungen ausgehen, die entweder verzerrt oder längst überholt sind.
Was sagen Sie denjenigen, die Bedenken haben, dass eine evangelische Schule auch Anlaufstation für Muslime oder auch Nichtgläubige sein kann?
Büscher: Wir haben da jedenfalls keine Berührungsängste. Und ich erlebe immer wieder, dass auch nichtchristliche Schüler Rituale mit christlichem Hintergrund für sich entdecken. Ich will zwei Beispiele nennen. Ich hatte mal Religionsunterricht mit einer Gruppe, zu der auch islamische Schüler gehörten. Das ist ganz selbstverständlich, wir missionieren hier nicht. Es gab dann ein Krippenspiel für den Weihnachtsgottesdienst der Schule, bei dem ein türkisches Mädchen unbedingt die Rolle des Verkündigungsengels haben wollte, der die Worte spricht: „Siehe, euch ist heute der Heiland geboren.“ Das hätte ich ihr als Religionslehrerin nie vorgeschlagen, denn ich möchte sensibel umgehen mit den Überzeugungen anderer Religionen. Aber weil sie das gerne wollte und kein Problem damit hatte, sah ich auch überhaupt keinen Grund, warum sie die Rolle nicht bekommen sollte. Ich habe es heute noch vor Augen, wie sie in der evangelischen Kirche oben auf der Kanzel stand und von dort diese Worte sprach.
Das andere Beispiel: Vor der Zeugnisvergabe für die Entlassschüler starten wir immer mit einem ökumenischen Gottesdienst. Seit einigen Jahren ist das mit einer Segnung verbunden, bei der die einzelnen Klassen nach vorne kommen und dann von den beiden Pfarrern mit Handauflegen gesegnet werden. Das ist nun wirklich der allerletzte Schultag, an dem es keinerlei Sanktionen geben kann, wenn man da nicht aufläuft. Aber da sitzen trotzdem die türkischen Mütter mit Kopftuch und türkische Schüler kommen und lassen sich segnen. Zwar nicht alle, was auch völlig in Ordnung ist, aber ich bin erstaunt über die Menge der Schüler, die finden, dass ein christlicher Segen einem Moslem auch nicht schaden kann. Diese Unverkrampftheit im Umgang finde ich klasse. Wobei ich es fast leichter finde mit den muslimischen Kindern als mit den Kindern ohne jede religiöse Prägung, weil denen damit oft auch ein Stück Lebensbewältigung fehlt.
Das Wissen über religiöse Traditionen und die christliche Grundierung unserer Gesellschaft nimmt spürbar ab. Hat man als kirchliche Schule nicht manchmal das Gefühl, man kämpft gegen Windmühlen?
Büscher: Eigentlich nicht. Ich erlebe eher, dass die Schüler vielleicht sogar stärker interessiert sind als vor Jahren, als biblische Geschichten noch bekannter waren, weil diese Geschichten jetzt für sie wirklich etwas Neues sind. Die Herausforderung ist dann, einen Lebensbezug zu den Schülern herzustellen und einen Punkt zu treffen, an dem klar wird, da sind allgemeine menschliche Fragen angesprochen.
Sie sind seit 23 Jahren Religionslehrerin. Muss man dabei heute anders vorgehen als damals?
Büscher: Ja klar. Die Schüler hatten früher mindestens noch eine Oma, die ihnen mal aus der Kinderbibel vorgelesen hat. Mittlerweile haben wir die ganze Bandbreite von Kindern aus christlich geprägtem Elternhaus bis hin zu den vielen Schülern, die darüber gar nichts wissen und manchmal deswegen schon Angst haben, in den Religionsunterricht zu kommen. Es gibt viel mehr religiöse Analphabeten als früher.
Ist es schwerer geworden, mit Schülern über Glaubensfragen ins Gespräch zu kommen?
Büscher: Das würde ich nicht sagen. Ich finde nur schade, dass es oft erst einmal die negative Vorerwartung gibt, dass Religion doof ist. Und die Schüler sagen das heute auch umso lauter, je weniger kirchliche Bindung bei den Eltern vorhanden ist. Da muss man dann schon ein bisschen zaubern, um sie noch vom Hocker zu reißen, und es hängt von den Inhalten ab, ob das gelingt oder nicht.
Die Spardiskussion in der rheinischen Landeskirche macht auch vor dem Bildungsbereich nicht halt. Sind Schulen in kirchlicher Trägerschaft noch zeitgemäß?
Büscher: Bildung gehört seit der Reformation zur Kernaufgabe der Kirche. Luthers Gedanke, dass alle in Glaubensfragen mitsprechen können und die Bibel in deutscher Sprache lesen sollen, ist ein Gedanke, aus dem sich ganz viel evangelische Bildungsarbeit entwickelt hat. Es macht für Kirche weiter Sinn, eigene Schulen zu unterhalten, auch als Modell dafür, was möglich ist. Es gibt ja durchaus auch Interesse staatlicher Schulen an unserer Arbeit, weil wir schon immer eigenverantwortlicher tätig waren. Das geht es um Fragen der Partizipation und des Vorlebens, wie Inklusion gelingen kann. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Im letzten Schuljahr sind wir mit null Inklusionsschülern gestartet. Aktuell haben wir sieben Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf und seit den Herbstferien auch eine Sonderpädagogin mit einer vollen Stelle bei uns. Dazu haben wir über den schulpsychologischen Dienst eine Supervision für die Lehrkräfte aufgebaut. Die neue Gesamtschule geht gleich inklusiv an den Start. Innerhalb von anderthalb Jahren sind wir beim Thema Inklusion führend im Kreis geworden.
Das alles erfordert viel Vorbereitung und Planung. Auch viel Gottvertrauen?
Büscher (lacht): Klar. Ein bisschen muss man schon den unerschütterlichen Optimismus haben, dass das alles hinzukriegen ist. Gerade der November war ein sehr heißer Arbeitsmonat, denn schließlich sollte das Grundkonzept für die neue Gesamtschule bis zum Tag der offenen Tür stehen.
Wo holen Sie sich Stärkung, auch für Ihren persönlichen Glauben?
Büscher: Ich gehöre zu den Leuten, die sonntags gerne in den Gottesdienst gehen. Ich singe im Gospelchor und treffe mich oft mit Freunden. Und nebenher brauche ich es auch ab und an, mich beim Schwimmen, Wandern oder Radfahren auszupowern. Man muss auch einen Punkt setzen können, an dem es mal gut ist mit Schule.
Macht auch die Schule einen Punkt vor Weihnachten und gibt Gelegenheit zur Einstimmung auf das Fest?
Büscher: Wir haben immer den letzten Schultag vor den Ferien besonders gestaltet. Das ist bei uns schon der Donnerstag, weil wir auf den Freitag einen beweglichen Ferientag gelegt haben. Wir beginnen mit einem Gottesdienst ökumenisch in beiden Kirchen. Danach ist Klassenweihnachtsfeier. Man macht Spiele. In manchen Klassen wird auch gesungen oder musiziert.
Ihr Mann ist Pfarrer. Wie organisieren Sie im Pfarrhaus Ihr Weihnachten um die beruflichen Verpflichtungen herum?
Büscher: Das ist ziemlich spannend. Als unsere Kinder noch klein waren, gab es die Heiligabend-Bescherung schon am Vormittag, weil mein Mann danach mit Gottesdiensten beschäftigt war und sie es nicht so lange ausgehalten hätten, bis er fertig war. Und wir haben uns über Jahre meist das dritte Adventswochenende freigehalten, um zusammen wegzufahren und unser privates Weihnachten zu haben. Inzwischen sind die Zwillinge 19. Unser Sohn ist gerade in eine Studentenbude nach Düsseldorf gezogen. Unsere Tochter geht im Januar für ein Sozialpraktikum drei Monate nach Ghana. Aber Weihnachten sind sie noch zu Hause. Und am zweiten Weihnachtstag feiert dann meine ganze Familie bei uns.
Mit echten Kerzen?
Büscher (lacht): Ja, da brennen dann auch echte Kerzen.