Berlin hält Burscheid in Ehren

Seit bald 80 Jahren gibt es in der deutschen Hauptstadt einen Burscheider Weg – mitten in einer Denkmalsiedlung.

Burscheid. Von Burscheid-Kaltenherberg bis zum Berliner Bezirk Spandau sind es 544 Kilometer. Gut, das Bergische zählte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs noch zur preußischen Rheinprovinz, aber sonst verbindet die Kleinstadt im Rheinisch-Bergischen Kreis (Einwohnerzahl: 18.900) und die deutsche Hauptstadt (Einwohnerzahl: 3.442.000) herzlich wenig. Und doch trägt eine Straße im Spandauer Ortsteil Haselhorst den Namen Burscheider Weg - und das schon seit bald 80 Jahren.

Haselhorst hat zumindest für Nichtberliner zwar nicht denselben großstädtischen Klang wie Kreuzberg, Charlottenburg oder Prenzlauer Berg. Aber Architektur- und Denkmalschutzfreunden ist der Ortsteil mit seinen gut 13.400 Einwohnern und der Burscheid verblüffend ähnlichen Postleitzahl 13599 sehr wohl ein Begriff.

Die denkmalgeschützte Reichsforschungssiedlung Haselhorst, zu der der Burscheider Weg zählt, gilt als besonderes Zeugnis moderner Architektur. Sie geht auf Entwürfe des Bauhaus-Architekten Walter Gropius und seines Kollegen Stephan Fischer zurück.

"Die Reichsforschungssiedlung hat nichts mit dem Dritten Reich zu tun, sondern das Deutsche Reich war auch in der Weimarer Republik die staatsrechtliche Bezeichnung Deutschlands", sagt Dieter Nellessen, Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde im Bezirk Spandau. "Die Siedlung war ein Forschungsprojekt zur Erprobung moderner Baustoffe und vorgefertigter Bauelemente."

Der Wettbewerb zum Bau einer Modellsiedlung wurde 1928 von der Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen (RFG) ausgeschrieben. Zwischen der Siemensstadt und den Borsigwerken in Tegel war der Bedarf an preisgünstigen Kleinwohnungen für die vielen Arbeiterfamilien groß. Den Wettbewerb gewann der Vorläufer der heutigen Gemeinnützigen Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin (Gewobag) mit dem Entwurf von Gropius und Fischer.

Mit der Ausführung von 1930 bis 1934 wurden dann aber andere Architekten betraut, darunter eine Reihe weiterer bekannter Namen. Die Denkmalschutzbehörde bedauert eine "gestalterische Verflachung beim Bau der Siedlung" durch "stete Kompetenzbeschneidungen der ausführenden Architekten".

Dennoch gilt die letzte Berliner Großsiedlung der Weimarer Republik mit ihren 3.500 Wohnungen bis heute als "geschichtlich bemerkenswertes Dokument einer staatlich getragenen Suche nach neuen Wohnungs- und Bauformen am zeitlichen Ausklang der Moderne".

1995 erfolgte daher die Unterschutzstellung. Seit 2003 ist die Gewobag dabei, die gesamte Siedlung in mehreren Bauabschnitten zu sanieren, wobei viele Wohnungen durch Zusammenlegungen auch vergrößert werden.

Warum die zunächst nur nüchtern "Straße 2" genannte Siedlungsstraße dann allerdings am 23. November 1931 den Namen Burscheider Weg erhielt, kann nicht mehr geklärt werden. Bei der Frage müssen sowohl Denkmalschützer Nellessen als auch Heimatforscher Henry Alex passen. Alex hat zwar gerade erst im Auftrag der Heimatkundlichen Vereinigung Spandau ein Buch über die Geschichte des vor 100 Jahren eingemeindeten Ortsteils Haselhorst veröffentlicht. "Aber ich kann mich nicht erinnern, einen besonderen Grund für die Namensgebung gefunden zu haben."

Welcher anonyme Verehrer des Bergischen vor 80 Jahren auch immer im Tiefbauamt des Bezirks Spandau die Anregung für den Namen Burscheid gegeben hat, weit ist er mit seinem Enthusiasmus offenbar nicht gekommen. Die Nachbarstraße in der Siedlung heißt Lüdenscheider Weg.

In Burscheid nun allerdings trifft die schon 80 Jahre währende Zuneigung der fernen Hauptstadt zumindest im Straßenverzeichnis auf gar keine Gegenliebe. Den Namen Berlin sucht man hier vergebens.