Burscheider SPD: „Brandt hat Deutschland ein anderes Gesicht gegeben“

Auch in der Burscheider SPD finden sich viele Mitglieder, die wegen Willy Brandts Versöhnungspolitik in die Partei eingetreten sind.

Burscheid. Zumindest darauf werden sich alle einigen können: Gleichgültig ließ Willy Brandt niemanden. Und für viele seiner Parteigenossen war der Sozialdemokrat, der am Mittwoch vor 100 Jahren geboren wurde, genau das Vorbild, dessen es mitunter bedarf, um sich für Politik begeistern zu können. Im Burscheider Ortsverein können davon viele erzählen.

„Brandt ist für mich noch immer der bedeutendste und interessanteste Politiker nach dem Krieg und der Hauptgrund, warum ich in die SPD eingetreten bin“, sage beispielsweise Ralf ten Haaf. Im „Willy wählen“-Wahlkampf 1972 war er mit 17 Jahren schon als Juso aktiv.

Wie Brandt schon drei Jahre zuvor die Hand zur FDP ausgestreckt und mit Walter Scheel die sozial-liberale Ära in die Wege geleitet hat, dazu der Kniefall von Warschau und der Friedensnobelpreis — „das sind Dinge, da steigen mir bis heute mitunter noch die Tränen in die Augen“.Dabei sieht ten Haaf durchaus die Widersprüche zwischen der volkstümlichen Willy-Inszenierung und der tatsächlichen Unnahbarkeit des immer wieder depressiven Politikers. „Aber er hatte ein ungeheures Charisma. Und diese charismatischen Figuren sterben immer mehr aus.“

Das bedauert auch Manfred Liesendahl: „Brandt war eine Leitfigur. So was kriegen wir nicht mehr — und die anderen auch nicht.“ Willy Brandt habe Deutschland ein anderes, unbelastetes Gesicht gegeben. „Und er konnte reden.“

Auch Liesendahl ließ sich 1972 von Willy Brandt bewegen und trat in die SPD ein. „Welches Format — und welcher Stillstand heute“, erinnert er sich an die Auftritte des großen Sozialdemokraten. Dessen Ostpolitik wurde später sogar Thema von Liesendahls Examensarbeit als Politikstudent. „Und auch die Mannschaft um Brandt war gut.“

„Da hatten wir einen sehr guten Bundeskanzler“, stimmt der Fraktionsvorsitzende Dieter Müller in den Chor der Brandt-Bewunderer ein. „Er war immer Vorreiter für meine politischen Ansichten und ausschlaggebend dafür, dass ich in die SPD eingetreten bin.“ Müller zollt vor allem der menschlichen Stärke Respekt, mit der Brandt die Guillaume-Affäre auf seine Kappe nahm und zurücktrat.

Brandts Privatleben mit mehreren Ehen und Liebschaften hat Müller weniger gepasst. „Aber man kann nicht überall Stärken haben.“ Dafür vermisst er bis heute die Tonlage der Bundestagsdebatten in den 70er- und 80er-Jahren, die er sich manchmal noch im Fernsehen auf Phoenix anguckt. „Das war nicht so abgehoben wie heute.“

Dennis Becker (28)

Für Monika Karrenbauer ist Brandt „der profilierteste unserer Bundeskanzler, auch wenn heute meistens Helmut Schmidt genannt wird“. Brandt sei ein Versöhner gewesen, der bereit dazu war, „etwas zu machen, was bis dahin unmöglich war“. Aus heutiger Sicht sei sein Rücktritt kaum nachvollziehbar, „wenn man sieht, wofür Leute heute nicht zurücktreten. Brandt war ein nobler Mensch.“

Alles nur Bewunderung der Zeitzeugen? Als Willy Brandt 1992 starb, war Dennis Becker, heute Burscheider Ratsmitglied der SPD, gerade sieben Jahre alt. Und doch wurde auch er mit Brandt groß. Im Arbeitszimmer des Großvaters Heinrich Aßmann hing ein Brandt-Porträt, später auch im Zimmer des Vaters. „Und der Kniefall von Warschau war eine große Geste, die mich sehr beeindruckt hat.“ Becker ist sich sicher: „Brandt berührt auch meine Generation.“