Dr. Harald Rau: Durch die deutlichen Zuwachsraten der Infektionszahlen hat die Situation in Köln eine gewisse Dramatik bekommen. Gleichzeitig nimmt das Impfen Fahrt auf. Viele Menschen melden sich bei uns, weil sie bevorzugt geimpft werden möchten. Dazu kommen die starken sozialen Unterschiede in den Stadtteilen, die Gegenstand einer Studie der Stadt und des Fraunhofer-Instituts waren. In diesen vulnerablen Sozialräumen mit hoher Inzidenz führen wir nun Schwerpunktimpfungen durch. In dieser Woche steht unser Impfbus in Chorweiler.
Corona „Das Management der Krise hat bei uns in Köln funktioniert“
Wie erleben Sie die Situation gerade?
Was ist jetzt anders im Vergleich zum Frühjahr 2020?
Rau: Im vergangenen Jahr war die Hoffnung da, dass man die Situation schnell in den Griff bekommt. Die erste Welle haben wir in Köln gut bewältigt. Das war im Vergleich zur jetzigen Situation ein kurzer Spurt. Jetzt leben wir seit fast 15 Monaten mit der Pandemie und aus dem Spurt ist inzwischen ein Marathon geworden. Die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Situation ist entsprechend gesunken. Aber mit dem Impfen haben wir ein wirksames Mittel, um der Pandemie entgegenzutreten
Wie hat Köln die Krise bislang bewältigt?
Rau: Im bundesweiten Durchschnitt gab es bei uns weniger Tote durch Corona. Insofern sind wir bislang gut durch die Krise gekommen. Das Management der Krise hat funktioniert. Wir konnten Kontakte von Infizierten nachverfolgen, die Aufklärungsarbeit war erfolgreich und das Impfzentrum wurde schon im Dezember aufgebaut. Durch die Priorisierung beim Impfen gibt es in den Pflege- und Altenheimen der Stadt nur noch ein geringes Infektionsgeschehen. Wir stehen hier durchaus gut da. Das „gut“ ist aber relativ. Die von der Krankheit und vom Lockdown betroffenen Menschen sind in einer massiven Notlage. Ihr Leben wird durch die Pandemie deutlich beeinträchtigt. Das macht das Leben in der Großstadt für viele schwierig und einengend.
Wie sieht im Moment Ihr Berufsalltag aus?
Rau: Im Moment jagt eine Sitzung die andere. Wir haben jetzt 10 Uhr und ich habe schon vier längere Videokonferenzen hinter mir. Die Pandemie ist als Thema absolut bestimmend. Wir müssen die Nachverfolgung durch die Mitarbeitenden des Gesundheitsamtes genauso organisieren wie das Impfen. Wir mussten daher immer wieder Personal aus anderen Bereich abziehen, um das Gesundheitsamt zu stärken. Für mich als Sozialdezernent spielt auch die soziale Komponente der Pandemie eine sehr zentrale Rolle. Dazu kommt, dass es auch noch Themen jenseits von Corona gibt, die wir nicht vergessen dürfen. Da geht es um langfristige Strategien für Köln. Durch das Fehlen der Präsenzsitzungen haben sich die Kontakte verändert. Sie sind intensiver und zeitlich gedrängter geworden. Es gibt kaum noch Pausen zwischen den Terminen, das ist durchaus belastend. Es fehlt auch die Zeit, um Termine gut nachzubereiten.
Wie hat sich Köln jetzt in der dritten Welle aufgestellt?
Rau: Mir ist wichtig, dass nicht jede Kommune und jedes Bundesland mit einer eigenen Strategie unterwegs ist und ich bin froh, dass es jetzt eine bundesweite Koordination der Maßnahmen gibt. Das macht diese berechenbarer und verlässlicher. Köln ist auch jetzt gut aufgestellt. Wir haben schon früh das Impfzentrum aufgebaut und Pläne für ein Ausweichkrankenhaus in der Messe gehabt. Anfangs waren die Möglichkeiten zum Schnelltesten eher gering, jetzt haben wir aktuell mehr als 700 Teststellen in der Stadt. Auch bei der Nachverfolgung haben wir uns gut entwickelt. Das Personal wurde fast verdreifacht und unser IT-Amt hat eine digitale Lösung für die Nachverfolgung entwickelt. So konnten wir wichtige Prozesse automatisieren. Wichtig ist es, nicht nur zu reagieren, sondern vorausschauend zu handeln. Trotzdem hat uns die dritte Welle auch die Grenzen bei der Nachverfolgbarkeit und bei der Belegung der Intensivbetten aufgezeigt. Das System war beziehungsweise ist da zeitweise am Limit.
Wie beurteilen Sie die Gefahr durch die neue indische Mutante?
Rau: Die fachliche Bewertung ist hier noch nicht eindeutig, aber es zeichnet sich ab, dass diese Mutante überschätzt wurde. Wir haben insgesamt die Mutanten sehr genau im Blick. Köln war Vorreiter bei der Sequenzierung aller positiven PCR-Tests.
Im sozialen Brennpunkt Chorweiler ist die Inzidenz extrem hoch, im Villenviertel Hahnwald liegt sie bei null. Was kann die Stadt tun, um solche Ungleichheiten zu beseitigen?
Rau: Wir haben schon sehr früh gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut diese Situation ausgewertet. So konnten wir schwarze Flecken bei der Versorgung mit Schnelltests erkennen und diese mit städtischen Teststellen entsprechend ausgleichen. Es gibt für alle 15 Sozialräume mit sehr hohen Inzidenzen Förderprogramme. Mit diesem Geld wollen wir gemeinsam mit sozialen Trägern wie zum Beispiel dem Roten Kreuz, der Caritas oder der Diakonie Aufklärungsarbeit leisten, Menschen zum Testen und Impfen motivieren sowie vor Ort Impfangebote machen. Wir reden hier von insgesamt rund 240.000 Personen, die wir jetzt verstärkt ansprechen. Dabei geht es nicht nur um das Verteilen von Flugblättern, sondern um das direkte Ansprechen, wenn möglich auch in den jeweiligen Landessprachen.
Wie sieht es mit der Impfstrategie für wohnungslose Menschen aus?
Rau: Bislang gab es in Köln keinen durch Corona bedingten Todesfall unter obdachlosen Menschen. Wir haben die Angebote für Übernachtungen und Verpflegung intensiviert. Streetworker sprechen Menschen, die auf der Straße leben, gezielt an. Wir planen, Obdachlose mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson zu impfen, da hier nur eine einmalige Impfung notwendig ist. Das Ganze soll jetzt im Mai umgesetzt werden.
Wann können wir die Priorisierung beim Impfen aufgeben?
Rau: Noch sind die zur Verfügung stehenden Impfdosen zu gering, um allen Menschen ein Impfangebot zu machen. Solange das der Fall ist, müssen wir das Impfen entsprechend steuern. Da hat sich die Priorisierung bewährt. Es gibt immer Einzelfälle, wo diese zu Ungerechtigkeiten führt. Damit beschäftigen wir uns hier im Dezernat jeden Tag und bearbeiten die Anfragen der Menschen oder Berufsgruppen, die bevorzugt geimpft werden wollen. Durch die Zunahme der Impfdosen wird es aber wohl schon im Juni möglich sein, die Priorisierung aufzugeben.
Wie wollen Sie Impfskeptiker überzeugen?
Rau: Es ist wissenschaftlich schwierig, das Nichteintreffen von Ereignissen zu beweisen, wie das zum Beispiel bei Komplikationen nach einer Impfung der Fall ist. Aber es gibt weltweit 100 Millionen Impfungen und die Zahl der ernsthaften Zwischenfälle ist so gering, dass das Risiko beim Impfen im Vergleich zum Nutzen verschwindend gering ist. Je mehr Menschen sich impfen lassen, umso selbstverständlicher wird das Impfen. Und genau das brauchen wir, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Durch Aufklärung und Überzeugungsarbeit müssen wir den Skeptikern zeigen, dass sie sich nicht nur selbst, sondern auch andere Menschen gefährden.
Wann können wir erste Lockerungen erwarten?
Rau: Bei den ansteigenden Inzidenzzahlen, wie wir sie in den vergangenen Wochen erlebt haben, ist es schwierig, derzeit über Lockerungen zu sprechen. Bei einem Konzertbesuch geht es nicht nur um die Situation vor Ort im Saal, sondern auch um die Mobilität bei der Anreise. Genau das bringt die Kontakte mit sich, die wir aktuell bei den noch sehr hohen Zahlen vermeiden müssen. Jetzt ist nach wie vor eine Reduzierung der Kontakte angesagt. Klar ist aber, dass wir, wenn die Zahlen sich deutlich verbessern, wieder zu einer Normalität zurückkommen müssen. Das muss mit einem guten Konzept geschehen, zu dem auch das intensive Testen gehört.
Wie wichtig ist es, Geimpften möglichst schnell, wieder Rechte zurückzugeben?
Rau: Wenn jemand durch die Impfung keine Gefahr mehr für sich selbst und andere Menschen darstellt, hat er das Recht, wieder mehr Normalität zurückzubekommen. Es besteht hier aber auch das Risiko einer sozialen Ungerechtigkeit. Die jungen Menschen stehen derzeit beim Impfen zurück, damit ältere, gefährdete Gruppen geschützt werden können. Wenn Menschen, die noch kein Impfangebot bekommen können, auch noch restriktiver behandelt werden als Geimpfte, werden diese doppelt bestraft. Das ist gesellschaftlich schwer zu ertragen.