Etwas Gutes zu tun ist nicht so einfach
Die Familie Kemmler reist seit 20 Jahren nach Afrika und hilft dort Armen und Kranken. Dabei gehen die Burscheider dorthin, wo sich zumeist kein Tourist blicken lässt.
Burscheid. Es ist wohl das bedrückendste Beispiel ihrer vielen Hilfsaktionen, das die Burscheider Familie Kemmler von ihren Afrika-Reisen in den vergangenen Jahren mitbringt: Über einen ihrer mittlerweile vielen privaten Kontakte lernen sie in Ghana eine krebskranke Frau kennen, der mit einer Brustoperation das Leben gerettet werden kann — für umgerechnet 160 Euro.
Die Kemmlers helfen. Und legen noch weitere 100 Euro für eine Verteuerung der Operation drauf. Die Frau wird gerettet, muss jedoch regelmäßig Medikamente zu sich nehmen. Und dann verlieren Ingrid und Edgar Kemmler sie aus den Augen. Auch deshalb, weil sie höchstens zwei Mal im Jahr für jeweils maximal drei Wochen Urlaub in einem afrikanischen Land machen. Dann erfahren sie: Die Frau ist gestorben. „Sie hat vier Wochen lang vergessen, ihre Medikamente zu sich zu nehmen. Und danach hat sie sie auf einmal genommen“, erklärt die 75-jährige Burscheiderin. „Wir konnten das Leben für drei Jahre verlängern.“
Es ist die etwas andere Weihnachtsgeschichte — über eine Familie, die vor etwa 25 Jahren beschlossen hat, sich nichts mehr zu Weihnachten zu schenken. Insbesondere, weil Sohn Christian (damals 20 Jahre alt) darum gebeten hatte. „Wir haben uns nie groß etwas geschenkt. Und wir haben gemerkt, was wir auch mit wenig Geld bewirken können“, erklärt der heute 45-Jährige.
Er war es auch, der seinen Eltern den Weg gezeigt hat nach Afrika. Mit einer Nil-Kreuzfahrt tastete er sich noch touristisch organisiert an den Kontinent heran, später kam eine Safari in Kenia dazu. „Da hat es eigentlich richtig begonnen“, so Christian Kemmler.
Begonnen hatte zu diesem Zeitpunkt auch, sich Gedanken zu machen über die Armut der Menschen, der man zwangsläufig begegnete. Und darüber, wie man den Menschen in diesen Situationen entgegentritt und ihnen Respekt entgegenbringt. „Man muss den Menschen auf Augenhöhe begegnen, sie nicht als arm bezeichnen“, sagt Ingrid Kemmler, die immer wieder die Nähe sucht zu Land und Leuten — auch in den entlegensten Dörfern.
Und schnell lernten die Kemmlers bei ihren Urlauben auch, dass Hilfe von Organisationen falsch angefasst werden kann. Beispielsweise mit Kleiderspenden, die dort in Secondhand-Shops verramscht werden — und die Schneider vor Ort ihren Laden schließen müssen. Und wie kontrolliert man Hilfe leisten muss, damit sie das bewirkt, was wichtig ist. „Wir geben den Menschen kein Geld in die Hand“, sagt Ingrid Kemmler. „Wir bezahlten das Schulgeld selbst.“ Beispielsweise für den sechsjährigen Ocean — 180 Euro im Jahr.
Die Erfahrungen waren es, die die Burscheider lehrten, sehr besonnen mit ihrer Unterstützung vorzugehen. Einem Fahrer, dessen sehnlichster Wunsch es war, seinem Sohn einen Ball mit nach Hause zu bringen, drückten sie umgerechnet fünf Euro in die Hand und ließen ihn selbst in das Geschäft gehen. Er kam wieder mit dem Ball — und ohne Geld. „Als wir später in dem Geschäft schauten, kostete der Ball nur einen Euro“, erinnert sich Edgar Kemmler. „Man muss leider skeptisch sein und immer wieder drauf schauen.“ Armut und Hunger lösen offensichtlich jene Verhaltensweisen aus, denen wir in unseren übersättigten Kulturkreisen mit Kopfschütteln begegnen. Eine Familie, denen ein Sack mit 25 Kilogramm Reis gegeben wurde, rief ein Festmahl aus und verputze alles, statt an die kommenden Wochen zu denken.
Und so überlegt sich auch Christian Kemmler immer genau, wie er helfen kann. Als er auf dem Fluß Kongo unterwegs ist („Dort kommen im Jahr vielleicht 20 Europäer hin“), sieht er am Ufer einen Jungen, der mit einem selbst gebastelten Laster aus Gummistücken spielt. Der Plan ist, dem Knaben das Spielzeug abzukaufen, aber alle davon profitieren zu lassen. Also organisiert Kemmler Junior, dass der Junge künftig über eine Spende zur Schule gehen kann, gibt dem Jungen selbst einen Betrag, damit er sehen kann, dass man Geld mit handwerklichem und künstlerischem Geschick verdienen kann. Und geht mit ihm in einen Laden und kauft Süßigkeiten ein, die später an alle Kinder im Dorf verteilt werden. „So haben alle etwas davon gehabt.“
„Urlaub machen in Afrika und Gutes tun, das ist ganz einfach unser Gedanke. Uns geht es gut, und deshalb wollen und können wir gern etwas abgeben. Die Gesichter und Dankbarkeit der beschenkten Menschen in Afrika ist unbeschreiblich. Das ist das schönste Weihnachtsgeschenk für uns, weil man diese Erlebnisse nie vergisst“, beschreiben die Kemmlers abschließend ihre Motivation.