Im Zentrum der Warnstreikwelle
Auf dem Marktplatz unterstützen Arbeiter aus der ganzen Region die aktuellen Forderungen der IG Metall.
Burscheid. Für Nicole Ilbertz ist es die erste Warnstreikrede. Im November 2008, als sich die IG Metaller der Region zuletzt pfeifend und trötend in den Tarifverhandlungen Gehör verschafft hatten, war sie noch nicht Betriebsratsvorsitzende von Federal-Mogul. Jetzt blickt sie quasi als Gastgeberin auf den vollen Marktplatz und sagt den Satz: „Wir sind bereit zu Streit.“
Streit wohlgemerkt und nicht Streik. Denn wirklich aufgeheizt ist die Atmosphäre noch nicht. Zwar spricht Ilbertz davon, es sei „eine Frechheit, was der Arbeitgeberverband uns angeboten hat“. Und ähnlich formulieren es im Folgenden ihre Betriebsratskollegen aus den insgesamt 13 beteiligten Firmen auch.
Aber diese Empörungsrhetorik folgt eher den bekannten Gesetzen einer Gewerkschaftskundgebung. Komplizierte Botschaften taugen halt nichts für Demonstrationen — ganz gleich, ob es nun 1300 bis 1500 Kollegen auf dem Marktplatz sind, wie die IG Metall sagt, oder doch eher knapp tausend, wie die Polizei an die Leitstelle meldet.
Wie kompliziert es in Wirklichkeit hinter den Kulissen in den Tarifkommissionen von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zugeht, davon weiß Witich Roßmann zu berichten, 1. Bevollmächtigter der IG Metall und Mitglied der NRW-Kommission, die am Freitag zum sechsten Mal tagt. Für Roßmann ist Burscheid nach zwei Warnstreikaktionen bei Ford in Köln an diesem Tag schon die dritte Station.
„Noch nie sind wir mit drei Forderungen in Tarifverhandlungen gegangen“, sagt Roßmann. 6,5 Prozent mehr Geld, unbefristete Übernahme der Auszubildenden als Regelfall und mehr Mitspracherecht der Betriebsräte bei der Leiharbeit — „und es wird keinen Abschluss geben, wenn wir nicht bei allen drei Forderungen zu Ergebnissen kommen.“
Aber parallel zu den Tarifkommissionen verhandelt die Gewerkschaft noch mit den Arbeitgeberverbänden der Zeitarbeitsfirmen über bis zu 50 Prozent mehr Geld für die Leiharbeiter. Das Ergebnis hier hat aber wiederum Auswirkungen auf die Kompromissbereitschaft in den Kommissionen. Alles nicht so einfach. Und es wird nicht leichter durch die zum Teil unterschiedlichen Voraussetzungen in NRW und Baden-Württemberg.
Klar aus Gewerkschaftssicht ist: „Es wird keine zweite Warnstreikwelle geben“, sagt Roßmann. Bis Pfingsten soll ein Verhandlungsergebnis vorliegen, „sonst gibt es die Urabstimmung und am 2. Juni wäre dann Streikbeginn“.
Zweieinhalb Wochen sind das noch. „Es bleibt euch nicht mehr viel Zeit“, ruft Roßmanns Stellvertreter Wolfgang Rasten als Hauptredner den nicht anwesenden Arbeitgebern von der Bühne auf dem Marktplatz zu. „Wir müssen und wollen nicht streiken, aber wir werden und können streiken.“
Da ist es dann doch, das Drohwort, das Ilbertz zu Beginn noch vermieden hatte. Rasten erhält die gewünschte pfeifende Zustimmung. Aber zum Äußersten entschlossen wirken die in rote Plastikwesten gekleideten Arbeitnehmer noch nicht.
Viele haben sich inzwischen ein Plätzchen im Schatten gesucht oder hocken ein wenig erschöpft von den vielen Redebeiträgen am Rand des Markts auf dem Boden. Und die kostenlose Suppe ist auch gefragt. Schließlich gibt es ansonsten keinen Ausgleich für den Lohnausfall durch den Warnstreik.
Aber noch wird zwischen den Tarifpartnern ja auch verhandelt und nicht gestreikt. Am späten Dienstagnachmittag wieder in Sindelfingen, am Freitag dann in Köln.