Lesen Das Schicksal einer Kölner Komponistin

Köln · Schon als Kind klopft Mariechen beim Unterricht federleicht einen Rhythmus auf die Heftablage unter ihrer Schulbank. Das begeistert das Mädchen neben ihr, die schnell ihre beste Freundin wird. Dabei wachsen die beiden jüdischen Mädchen Franzi und Mariechen am Ende des 19. Jahrhunderts in einer Gesellschaft auf, in der Frauen noch weitgehend auf ihre Rechte verzichten müssen.

Die Komponistin von Köln Roman von Hanka Mewes, Emons-Verlag

Foto: Emons-Verlag

Das Abitur und das anschließende Studium sind für sie so undenkbar wie der Beruf einer Musikerin. Selbst das Radfahren ist für Mädchen verpönt.

Mariechen Bing lebt mit ihrer verwitweten Mutter und ihren Brüdern bei der Familie ihres Onkels, der in der Kölner Innenstadt eine große Textilhandlung betreibt. Auch er verfügt über ein klares Rollenverständnis zwischen Mann und Frau. Franzis Vater ist ein bekannter Arzt und vertritt eine genauso konservative Meinung. Gemeinsam ist beiden Familien ihre Liebe zur Kultur, und vor allem zu Musik. Regelmäßig werden Gäste zu Salonkonzerten eingeladen, bei denen auch Mariechen mit ihren Brüdern und ihrem Cousin auftreten darf.

Doch nicht alle in den beiden Familien halten sich an die Regeln der Zeit. So verlässt Mariechens Cousin Richard bereits vor dem Abitur die Familie, um bildender Künstler zu werden. Auch Franzis jüngere Schwester lässt sich nicht beeindrucken und macht selbstbewusst ihr Abitur, um selbst Ärztin zu werden. Dagegen sollen Mariechen und Franzi klassische Rollen einnehmen und ihre späteren Männer im Haushalt und bei der Erziehung der Kinder unterstützen.

Franzis sehnlichster Wunsch ist es, Kindern als Lehrerin Wissen zu vermitteln. Letztlich darf sie sich am Seminar zur Lehrerin ausbilden lassen, doch die Heirat verhindert zunächst, dass sie ihren Beruf direkt im Anschluss auch ausüben darf.

Mariechen bleibt ein
Leben lang der Musik treu

Auch Mariechen will ihrer Musik treu bleiben und erreicht mit verschiedenen Musiklehrern stete Fortschritte am Klavier. Doch auch für sie steht zunächst die Hochzeit mit ihrem Mann, dem Chemiker Albert Herz, im Vordergrund. Nach dem Albert eine Anstellung in einer englischen Textilfabrik in Bradford bekommt, geht es für das Paar auf die Insel, wo insgesamt vier Kinder geboren werden. Auch Franzi nennt nun zwei Söhne ihr Eigen, die viel Aufmerksamkeit erfordern.

In England kommt Mariechen mit einer Bewegung in Berührung, die das Wahlrecht für Frauen energisch einfordert. Auch ihren Weg als Musikerin geht sie, trotz der wachsenden Anforderungen in der größer werdenden Familie, mit einem neuen Klavierlehrer weiter und darf bei Auftritten wie bei ihren musikalischen Vorträgen erste Erfolge in der neuen Heimat verzeichnen.

Albert bekommt eine neue Anstellung in Halifax und unterstützt seine Frau auf ihrem Weg als Musikerin stetig. So bekommt seine Frau, die Chance, an ihren ersten Kompositionen zu arbeiten. Doch das Glück von Mariechen währt nicht lange, da der Erste Weltkrieg seine Schatten vorauswirft und sie als Deutsche mit ihrer Familie England wieder verlassen muss.

In Köln brechen mit dem Krieg, der Spanischen Grippe und dem heraufziehenden NS-Terror schwere Zeiten für Franzi und Mariechen an, deren Mann plötzlich stirbt und seine Familie nicht mehr finanziell versorgen kann. Auch die deutschen Kritiker stehen einer Komponistin eher skeptisch gegenüber, sodass sie vorgeben muss, ein Mann zu sein, um akzeptiert zu werden. Trotzdem setzt sich Maria Herz durch und feiert große Erfolge, bevor sie Deutschland als Jüdin den Rücken kehren und nach England emigrieren muss.

Der Roman beruht auf dem Familiennachlass und Briefen

Der historische Roman von Hanka Meves beruht auf den Briefen und dem Familiennachlass der Kölner Komponistin Maria Herz, fügt aber der Geschichte fiktive Elemente wie die Freundin Franzi und ihrer Familie hinzu. Erzählt wird eine Familiengeschichte in Zeiten des Wandels. So gibt es in Köln Ende des 19. Jahrhunderts große Veränderungen im Stadtbild und in der Gesellschaft. Dazu wandelt sich die Rolle der Frau genauso wie die gesamte Kulturwelt. Dazu kommt die stärker werdende Ausgrenzung der jüdischen Kölner, die in der Ermordung von Juden durch die Nazis in den Konzentrationslagern ihren dramatischen Höhepunkt findet.

Hanka Meves, Die Komponistin von Köln, Emons-Verlag, 288 Seiten, 14 Euro