Interview „Die Geschichte dieser Band ist unfassbar lebendig“

Köln · Frank Steffan, Jahrgang 1957, ist ein Kölner Journalist, Autor und Verleger. Seit seiner frühesten Jugend hat er eine besondere Beziehung zur wohl bekanntesten Rockband der Welt aufgebaut – den Rolling Stones.

Eine Band feiert Geburtstag: Die Rolling Stones in diesem Jahr bei einem Auftritt im Hyde Park in London.

Foto: dpa/Suzan Moore

Anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Formation um Frontmann Mick Jagger, hat sich Steffan mit dem Phänomen Rolling Stones auseinandergesetzt und blickt in seinem gerade erschienen Buch auf eine unglaubliche Musikkarriere.

Wie war Ihre erste Begegnung mit den Rolling Stones?

Frank Steffan: Das war mit etwa elf Jahren. Da sitzt man bei seiner Großmutter vor dem Fernseher und kennt nur Serien wie „Lassie“ oder „Flipper“. Man ahnt nichts Schlimmes und dann springen einem fünf Typen in Kriegsbemalung an. Sie blickten wild aus dem Schwarz-Weiß-Fernseher und waren damals völlig exotisch, verwegen und völlig anders, im Vergleich zu dem, was man bislang gesehen hat. Die Stones haben schon früh damit begonnen, eigene Videos mit spektakulären Aufnahmen zu drehen. Anders als Peter Alexander & Co. haben sie nicht gelächelt, sondern richtig böse geguckt. Allerdings hatte ich diese Begegnung dann auch schnell wieder vergessen. 

Es sollte nicht die letzte Begegnung bleiben?

Steffan: Nein, das nächste Mal war es 1969 ein Beitrag in der Tagesschau, der von einem Konzert im Hyde Park berichtete. Damals war ich noch im Internat auf Schloss Wittgenstein. Erst 1970 bin ich wieder zurück nach Köln gekommen, um im Gymnasium Zollstock weiter auf die Schule zu gehen. Dort gab es schon Mitschüler, die sehr individuell waren und die sich nicht angepasst haben. Einer von ihnen fragte mich, ob ich mir mit ihm eine Doku über die Amerika-Tour der Stones im Kino ansehen möchte. Das war nicht gerade ein PR-Produkt, aber damals hat es mich in Sachen Rolling Stones wirklich gepackt. Ich hatte mich danach auch mit den älteren Platten der Band auseinandergesetzt, die schon zehn Jahre existierte. Das war für die Zeit absolut ungewöhnlich. 

Dann kam 1973 das erste Konzert.

Steffan: Das war in der Kölner Sporthalle. Ich habe mir die Band gleich zweimal angesehen – nachmittags und abends. Für den Abend hatten wir allerdings keine Karten und mussten eine Mauer mit Stacheldraht überwinden. Ich war 16 Jahre alt und hegte den Wunsch, Journalist zu werden. Daher habe ich die Stones mit einer gewissen Distanz verfolgt. Ich kannte bei den Songs aber jede Zeile und habe alles gelesen, was in Fachmagazinen wie dem Melody Maker, erschienen ist. Mit etwa 18 habe ich dann meine ersten eigenen Berichte geschrieben. Damals wurde man in den Redaktionen nicht wirklich für voll genommen. Aber bei gewissen jungen Musikthemen hat man uns dann doch eingesetzt. 

Später waren Sie Chefredakteur der deutschen Ausgabe des Magazins „Rolling Stone“.

Steffan: Für ein Jahr habe ich zwischen 1981 und 1982 die Leitung übernommen. In dieser Zeit war die Redaktion in Köln. Sie berichtete vornehmlich vom Mainstream des US-Entertainments. Ich habe mich aber auch für andere Themen interessiert und war der Meinung, dass man auch die aufkommende Deutsche Welle berücksichtigen sollte. Darüber gab es viele Diskussionen mit dem Verleger. 

Sie haben auch ein eigenes Tourmagazin zu den Stones veröffentlicht.

Steffan: Das war ein ziemlich waghalsiges Unternehmen. Die Tour war wirklich gigantisch. Waren es in der Sporthalle noch knapp 10.000 Menschen, kamen zum Konzert im Müngersdorfer Stadion schon etwa 60.000 Besucher. Diese Größenordnung war ganz neu im Musikgeschäft, es war auch die bislang größte Tour der Band. Die Idee beim Magazin war, dass wir Bilder vom ersten deutschen Stones-Konzert der Tour in Hannover liefern. Dafür bin ich dann mit zwei Fotografen dorthin gefahren. Alles war ganz einfach, wir konnten direkt bis vor die Bühne und haben tausende Bilder gemacht. Die Auflage war sehr hoch, wir wollten damit ganz Deutschland beliefern. Alles ging gut und finanziell bedeutete der Erlös den Startschuss für meinen heutigen Verlag.

Welchen Bezug haben Sie heute zu den Rolling Stones?

Steffan: Ich beobachte die Band noch immer sehr genau. Nach dem Tod von Drummer Charlie Watts im vergangenen Jahr war ich wirklich geschockt. Ich befürchtete das Ende der Stones. Doch die Band hat einen sehr guten Ersatz gefunden. Ich freue mich, dass es die Stones mit Musikern, die 15 Jahre älter sind als ich, noch gibt. Das gibt mir selbst eine gute Perspektive. Was mich begeistert, ist, dass Band konstant auf Tour geht, ohne nur billig die alten Erfolge zu reproduzieren. Sie lassen sich immer wieder etwas einfallen. Die Geschichte der Stones ist unfassbar lebendig und zeugt von großer Lebensfreude und Energie. 

Was macht das Phänomen Rolling Stones aus?

Steffan: Die Rolling Stones sind eine Band, die nicht nur als große Stars auf der Bühne gefeiert worden sind. Sie haben in ihrer Geschichte Repressalien erlitten und wurden regelrecht gejagt. Die Mitglieder konnten in den 60ern nicht mal einfach in eine Kneipe gehen. Da wären sie als langhaarige Hippies von wutentbrannten Bürgern angegriffen worden. Es gab auch immer wieder gezielte staatliche Repressalien wie Drogenrazzien in den Privathäusern. Gerade in der Anfangszeit mussten die Stones zudem existenzielle Probleme bewältigen. Anfang der 70er war die Band fast pleite, weil sie von ihrem Manager damals über den Tisch gezogen worden sind. Der hatte alle Rechte an den alten Songs. Die Band musste wieder ganz von vorne beginnen. Sie haben ein eigenes Label gegründet und neue Platten eingespielt. Wer das über Jahrzehnte überstanden hat, ist aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt. Der äußere Druck hat den inneren Kern der Band zusammengepresst. Da wirkt ewig nach und so eine Band würde ihre Karriere nicht so einfach aufgeben. 

Ihre Langlebigkeit wurde den Stones auch gerne einmal vorgeworfen.

Steffan: Als ich die Band 1973 das erste Mal live gesehen habe, waren die Musiker schon um die 30. Das war ein Alter, mit dem man damals nicht mehr auf die Bühne gegangen ist. Da haben die Stones, wie bei vielen anderen Dingen, Grenzen verschoben. Und das scheint ihnen Spaß gemacht zu haben. 

Haben Sie die Band auch einmal persönlich getroffen?

Steffan: Ein Interview gab es nie. Aber als ich zusammen mit einem guten Freund von der Plattenfirma EMI in der Frankfurter Festhalle war, ging beim Fahrstuhl auf einmal die Tür auf und Jagger und Watts kamen herein. Es gab ein kurzes Hallo, mehr aber nicht. Allerdings habe ich die Band über Jahrzehnte bei ihrer Karriere genau verfolgt und glaube daher, sie ganz gut zu kennen. 

Waren die Stones für Sie als Fan auch Vorbilder?

Steffan: Die Band hatte sich nie eine gesellschaftliche Mission auf ihre Fahnen geschrieben. Sie waren natürlich für Leute wie mich auch Vorbilder, auch wenn die Stones das immer abgelehnt haben. Das war auch gut so, denn die Botschaft, dass man im Leben selbst klarkommen muss, ist bei mir angekommen. Ich sehe mich auch definitiv nicht als Fan. Ich hasse dieses Wort, weil es vom Begriff Fanatismus abstammt. Es wundert mich immer, dass es in Deutschland so positiv besetzt ist. Es ist falsch, sich bedingungslos einer Sache zu verschreiben.

 

Frank Steffan: 60 Jahre Rolling Stones – Betrachtung einer unglaublichen Karriere, Edition Steffan, 160 Seiten, 19,90 Euro