Worum geht es beim neuen Köln-Tatort „Abbruchkante“?
Fernsehen Ein Besuch an der „Abbruchkante“
Köln · Am Sonntag hat der Kölner „Tatort“ „Abbruchkante“ ein Auswärtsspiel (ARD, 20.15 Uhr). Die beiden Hauptkommissare ermitteln nach einem Mord im Rheinischen Braunkohlerevier. Dort wird im verlassenen Dorf Bützenich ein Toter gefunden.
Wir haben vorab mit den beiden Kölner Drehbuchautoren Eva und Volker A. Zahn gesprochen.
Volker A. Zahn: Dieser „Tatort“ spielt ausnahmsweise nicht in Köln, sondern rund 40 Kilometer entfernt im Rheinischen Braunkohlerevier, in einem fiktiven Dorf namens Bützenich, das wegen des Kohleabbaus abgebaggert werden sollte, nun aber doch erhalten bleibt. Dort wird in einem verlassenen Haus der Arzt des Ortes erschossen aufgefunden. Unsere beiden Kommissare tauchen bei ihren Ermittlungen in eine zerrissene Dorfgemeinschaft ein. Dabei stoßen sie auf einige Konflikte mit durchaus mörderischem Potenzial.
Sie waren für die Recherche vor Ort im Braunkohlerevier. Was haben Sie dort erlebt?
Eva Zahn: Wir waren in den vergangenen Jahren mehrfach vor Ort, um uns ein genaues Bild der Region und der Menschen dort zu machen. Und wir waren sofort von dieser Gegend fasziniert, von dieser seltsamen Atmosphäre dort, diesem Mix aus Alt und Neu, aus Rebellion und Resignation. Und das alles im Schatten einer unglaublichen Naturzerstörung. Besonders interessiert haben uns natürlich die menschlichen Schicksale - zum Beispiel die traurigen Geschichten älterer Menschen, die aus dem Dorf, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht haben, vertrieben wurden.
Volker A. Zahn: Die Umsiedlung bedeutete ja immer auch einen fundamentalen Lebensbruch. Da wurden Menschen genötigt, essenzielle Entscheidungen für sich und ihre Familien zu treffen: Beuge ich mich, oder leiste ich Widerstand? Kann ich es meinen betagten Eltern noch zumuten, am Lebensabend verpflanzt zu werden? Verkaufe ich den Hof, auf dem unsere Familie seit Generationen zu Hause war? Über solche Fragen sind Ehen und Freundschaften zerbrochen, viele Familien haben sich entzweit.
Wie nahe ist die Geschichte des „Tatorts“ am Geschehen rund um Lützerath?
Volker A. Zahn: Der „Tatort“ erzählt fiktionale Geschichten. Aber die Familientragödien und Einzelschicksale, denen wir vor Ort begegnet sind, haben uns natürlich inspiriert. Bützenich ist ein fiktiver Ort, aber die Geschichte dahinter ist real und hochaktuell. Viele Menschen haben jahrelang damit gerungen und gehadert, ihre Heimat verlassen zu müssen, sie haben alles aufgegeben, was ihnen wichtig war. Und plötzlich heißt es: Kohle-Kompromiss, es wird doch nicht abgebaggert!
Eva Zahn: Trotzdem werden die alten Dörfer jetzt nicht sofort wiederbelebt, es gibt viele Pläne, große Visionen, aber niemand weiß genau, was dort in Zukunft passieren wird. Der Schwebezustand bleibt und belastet die Menschen weiter: Das Neue fühlt sich fremd an, und das Alte kommt nicht zurück.
War das Thema Lützerath schon aktuell, als Sie mit dem Schreiben begonnen haben?
Eva Zahn: Wir haben vor etwa vier bis fünf Jahren mit unseren Vor-Ort-Recherchen begonnen. Lützerath war damals auch schon ein Thema, aber die größten Konflikte und Kämpfe wurden damals im und um den Hambacher Forst ausgetragen.
Wie wichtig ist es, dass sich ein „Tatort“ auch politischen Themen widmet?
Volker A. Zahn: Sehr wichtig. Uns würde es langweilen, einfach nur irgendwelche „Whodunits“ zu erzählen. Wir verstehen uns als politisch denkende und schreibende Autoren und freuen uns, dass wir im „Tatort“ genau diese Geschichten, die Menschen bewegen und manchmal auch aufregen, erzählen können.
Was macht die DNA des Kölner „Tatorts“ aus?
Eva Zahn: Einerseits die relevanten Geschichten, die in Köln erzählt werden. Und zwar in einer angenehm liberalen und toleranten Art und Weise, rheinisch gelassen und von großer Menschlichkeit durchweht. Und andererseits natürlich Ballauf und Schenk, zwei unaufgeregte Ermittler, die eigentlich alles gesehen haben und sich trotzdem immer noch von den Schicksalen der Menschen packen lassen.
Wie wichtig ist es, dass die beiden ab und zu ihr angestammtes Revier verlassen?
Volker A. Zahn: Es hat natürlich einen großen Reiz, die beiden Kommissare mal zu einem Auswärtsspiel zu schicken, selbst wenn das fremde Terrain, das sie in „Abbruchkante“ betreten, nur ein paar Kilometer von der Stadt entfernt liegt. Aber das Revier ist eben eine ganz eigene Welt, und deshalb müssen sich Ballauf und Schenk in dieser merk- und denkwürdigen Atmosphäre der Verlorenheit erstmal zurechtfinden. Für Autoren ist das ein Fest.
Was bedeutet es für Sie, für einen Klassiker wie den „Tatort“ zu schreiben?
Eva Zahn: Es ist etwas ganz Besonderes, ein echtes Privileg, mit dem man aber auch sehr verantwortungsvoll umgehen muss. Beim Kölner „Tatort“ schalten rund 10 Millionen Zuschauer ein, die Krimireihe ist eines der letzten lodernden Lagerfeuer des linearen Fernsehens. Es ist ein echtes Geschenk, so viele Menschen erreichen und unterhalten zu dürfen.
Sie schreiben ihre Drehbücher als Paar. Macht das die Arbeit einfacher oder schwieriger?
Volker A. Zahn: Wir können nur als Paar schreiben (lacht). Und das machen wir bereits seit mehr als 30 Jahren. Wir ergänzen und korrigieren uns ständig, und wir stacheln uns auch immer wieder an. Und wir leben intensiv mit unseren Figuren, das ist eine Arbeit, die wir wirklich lieben, aber es kann zwischendurch tatsächlich auch mal anstrengend werden.