Bühne Fulminanter Abschluss des Kölner Sommerfestivals
Köln · Es ist ein emotionaler Moment, wenn sich der 24-köpfige Chor in weißen Gewändern, angeführt von einer Querflötistin, in der Philharmonie durchs Publikum hinunter zur noch dunklen Bühne begibt. Es ist der Auftakt zu einem so ungewöhnlichen, wie auch unterhaltsamen Abend beim Kölner Sommerfestival, ein Abend voller Poesie und grandiosen Bildern.
Das weltbekannte katalanische Theaterkollektiv La Fura dels Baus bringt Carl Orffs Meisterwerk „Carmina Burana“ für eine Woche an den Rhein. Lange mussten die Kölner Zuschauer auf diesen Moment warten, der ursprünglich schon für das Sommerfestival im Jahr 2020 geplant war. Doch die Pandemie brachte auch hier die Pläne mächtig durcheinander.
Das berühmte Chorwerk
wird neu in Szene gesetzt
Aber das lange Warten hat sich gelohnt. Die Gäste aus Barcelona schaffen in der altehrwürdigen Philharmonie eine fantastische Welt, in der sie das berühmteste Chorwerk aller Zeiten auf ihre ganz eigene Art in Szene setzen und so ein grandioses audiovisuelles Gesamtkunstwerk schaffen. Während links und rechts auf der Bühne die Sängerinnen und Sänger des Chores platziert werden, befindet sich in der Mitte eine kreisrunde Projektionsplattform.
Im Inneren befindet sich das Orchester und auch zeitweise die sechs Tänzerinnen. Während auf dem Stoff sich virtuelle Welten wie das Universum mit kosmischen Explosionen oder das Meer mit seinen fantastischen Quallenwesen zeigen, kommen durch den durchsichtigen Stoff immer wieder die Musiker und die Tänzer zu Vorschein. Von Zeit zu Zeit öffnet sich auch der Vorhang.
So kommt ein übergroßes und gut gefülltes „Weinglas“ zum Vorschein, in dem anmutig getanzt oder vom „Abt des Schlaraffenlandes“ auch fröhlich gesungen wird. Drumherum herrscht ausgelassene Stimmung beim großen Trinkgelage, während der gebratene Schwan, in die Lüfte gehoben durch einen Kran, parodistisch über seine einstige Anmut und Schönheit auf dem See lamentiert.
Humor ist ein wichtiger Bestandteil bei La Fura dels Baus und wird von den Darstellern auch schon mal direkt ins Publikum im ausverkauften Saal getragen, so wenn die ersten Sitzreihen vom bärtigen Sänger schwungvoll erobert werden. Die virtuell und real vom 47-köpfigen Ensemble geschaffenen, fantastischen Bilder auf der Bühne erinnern manchmal ein wenig an die magische Welt des Cirque du Soleil.
Es sind auch etwas skurrile Szenen, so wenn der Männerchor aus einer riesigen, fleischfressenden Pflanze seine Köpfe in Richtung Publikum ausstreckt. Sehr gekonnt wird auf der Bühne mit dem Licht, den Farben und der digitalen Welt gespielt. Damit hauchen die Kreativen den uralten Gedichten aus dem Mittelalter und Orff‘s Oper aus dem 20. Jahrhundert ein neues Leben voller Fantasie, Rhythmus und Anmut ein.
Die Originalfassung der „Carmina Burana“ ist ein Kodex aus 300 weltlichen Gedichten aus der Feder verschiedener Gelehrter des 12. und 13. Jahrhunderts. Geschrieben in lateinischer, altdeutscher und altfranzösischer Sprache priesen die Texte die Freude am Leben, das Interesse an irdischen Genüssen und erzählen von den Liebesfreuden und der Schönheit der Natur. Dabei werfen sie einen ebenso kritischen wie satirischen Blick auf die Zeit. Eine Botschaft, die von La Fura dels Baus so eindrucks- wie auch fantasievoll in die Gegenwart transferiert wird.
Der Münchener Komponist Carl Orff stieß im Jahr 1934 auf die Sammlung, die lange in Vergessenheit geraten war, bis sie 1803 im bayrischen Kloster Benediktbeuren wiederentdeckt worden ist. Dort erhielt sie auch ihren lateinischen Namen „Carmina Buruna“ - „Beurer Lieder“, die im 19. Jahrhundert in die Bayerische Staatsbibliothek überführt worden waren. Erst 40 Jahre später wurde eine Gesamtausgabe der Handschrift publiziert, die es in speziellen Kreisen zu einer neuen Beliebtheit schafft und so auch das Interesse des Komponisten weckte.
Die vom Rhythmus getriebene und bildreiche Chormusik schuf Carl Orff zwischen 1935 und 1936 auf der Grundlage von 24 ausgewählten Gedichten des Kodex. Uraufgeführt wurde „Carmina Burana“ 1937 in einer szenischen Kantate in Frankfurt am Main. Danach wurde das Stück schnell weltweit berühmt.
Die grenzüberschreitende Symbiose aller Disziplinen ist das Markenzeichen von La Fura dels Baus. Literatur, Bühne, Kostüme sowie Licht, Video und Choreografie verschmelzen in den Produktionen des Kollektivs, das seiner Ursprünge Ende der 70er Jahre in einer Straßentheatergruppe hat.
Erstmals für großes Aufsehen sorgten die Katalanen bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona mit ihrer Aufführung bei der Eröffnungsfeier. 2006 choreografierte die Gruppe das furiose Massenfinale in Tom Tykwers Romanverfilmung „Das Parfüm“. „Carmina Burana“ feierte 2009 in San Sebastián seine Premiere und hat bis heute nichts von seiner ungeheuren Strahlkraft verloren.
Service: „Carmina Burana“ beim Kölner Sommerfestival in der Philharmonie: Die Produktion ist noch bis zum Sonntag, 23. Juli, zu Gast am Rhein. Vorstellungen gibt es am Donnerstag und Freitag um 20, am Samstag um 16 und 20 sowie am Sonntag um 15 und 19 Uhr. Diese sind der Abschluss des diesjährigen Sommerfestivals. Karten gibt es ab 49,90 Euro unter Telefon 0221/280280 oder online unter: