Konkurrenz zwischen Opfern auch an diesem Abend
Lesung: Die Journalistin Helga Hirsch stellte in Burscheid ihr jüngstes Buch zum Thema Vertreibung vor.
Burscheid. Das neue Buch von Helga Hirsch über Vertriebene in Polen sei "ein wichtiger Beitrag zur europäischen Einigung." So lobte am Freitagabend Zuhörer Curt Hondrich die Autorin in der Buchhandlung Hentschel. Er setzt sich für Kriegstraumatisierte ein. Geschichten von solchen Menschen hat Hirsch gesammelt.
Hirsch, die fünf Jahre als Korrespondentin in Polen lebte, hat auch mit einem Juden gesprochen, der Auschwitz überlebt hat. Er erzählte ihr, wie er in sein Dorf in Polen zurückkam und dort als einer von gerade einmal zehn überlebenden Juden von einigen Hundert auch nach dem Krieg seines Lebens nicht mehr sicher war. Er floh nach Deutschland und wenige Jahre später in die USA.
Die Geschichten, die Hirsch zusammengetragen hat, brachten auch die Besucher zum Erzählen. Im Publikum fand sich ein Mann, der als zweijähriger Deutscher aus Oberschlesien vertrieben wurde. Er hat später in Polen den Kalten Krieg als eine Zeit der Angst erlebt und musste Deutsch in einem Kursus erlernen.
Eingeleitet hatte die Politologin ihren Vortrag mit dem Satz: "Es gibt eine Konkurrenz zwischen den Opfern." Viele Gruppen fühlten sich mit ihrem Schicksal nicht richtig wahrgenommen, sodass Neid auf andere Opfer entsteht. Damit sollte sie auch am Freitagabend Recht behalten, denn auf die Geschichte des Spätaussiedlers reagierte ein älterer Herr barsch: "Meinen Sie, wir wüssten das nicht." Er hätte lieber etwas über das Schicksal anderer deutscher Vertriebener gehört.
Mit der gespannten Stimmung in der Buchhandlung wusste Hirsch umzugehen. Sie konnte die genauen geschichtlichen Hintergründe der Vertreibungen erklären und ließ die Geschichte des Spätaussiedlers als seine Geschichte stehen.
Die dritte Erzählung, mit der Hirsch den Abend aufhellte, war die eines Brautpaares. Eine junge deutsche Frau hatte kurz nach dem Krieg einen polnischen Bauerssohn kennengelernt. Doch zwischen sie stellte sich die Politik, die eine solche Ehe in der damaligen Zeit nicht erlaubte. Die Wege der beiden wurden für Jahrzehnte getrennt - bis sie 2005 im Alter von 80 und 84 Jahren vor dem Standesbeamten standen.
Helga Hirsch: "Entwurzelt. Vom Verlust der Heimat zwischen Oder und Bug"; Verlag: Edition Körber Stiftung; Preis: 20 Euro.