Mosaiksteine wider das Vergessen
Ein Buch erinnert an Schicksale im Holocaust. Auf vier Seiten erzählt Michael Schwarz darin von seiner Mutter.
Burscheid/Wermelskirchen. Die Lebensleistung seiner Mutter habe er immer bewundert, sagt Michael Schwarz. Mit 15 Jahren nahm die gebürtige Berlinerin Gerda Tirza Lindemann 1935 Abschied von ihrer Mutter und brach nach Palästina auf. Möglich wurde die Ausreise durch die wenige Jahre zuvor gegründete Hilfsorganisation Jugend-Aliyah, die jüdische Kinder und Jugendliche vor der nationalsozialistischen Bedrohung rettete. In dem Buch "Zwischen Glück und Grauen" erinnert der Burscheider Ratsherr auf vier Seiten an den Lebensweg seiner Mutter.
Autorin des Buches ist die Wermelskirchener Lehrerin und Fotokünstlerin Marie-Louise Lichtenberg (58). Sie hatte Schwarz am Rande seines Georg-Kreisler-Abends zur Eröffnung der Buchhandlung Hentschel kennengelernt. Im September 2007 besuchte sie ihn in seinem Haus am Markt und ließ sich die mütterliche Geschichte erzählen.
In dem 332 Seiten starken Buch ist dieses Leben nur ein Mosaikstein. Dass Gerda Lindemann beim Abschied in Berlin ihre Mutter zum letzten Mal sah, dass diese später in Auschwitz ermordet wurde, dass die Familie Schwarz dennoch bereits 1952 wieder nach Deutschland zurückkehrte, das wird in nüchternen Sätzen erzählt, hinter denen sich genug Stoff für ein eigenes Buch verbergen würde.
Aber das Schlaglichtartige der geschilderten Schicksale gefällt Michael Schwarz gerade gut: "Ich empfinde das Buch wie die Stolpersteine", zieht er einen Vergleich zu der Aktion des Kölner Bildhauers Gunter Demnig. Er freue sich über das Buchprojekt, "weil es eines von vielen Erinnerungsstücken ist, die das Vergessen möglicherweise verhindern".
Er selbst sagt über seine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Holocaust auf sein Leben: "Mehr damit beschäftigen, als ich es getan habe, kann man nicht. Das hast mich geprägt." Der Wunsch des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, nach jüdischer Normalität in Deutschland sei aber noch nicht erreicht: "Egal was Juden leisten, ihre Religion wird immer mitgenannt." Das sei bei keiner anderen Religion der Fall.
Die Initialzündung für das Buchprojekt liegt vier Jahre zurück. Im Sommer 2006 war Marie-Louise Lichtenberg zum ersten Mal in Auschwitz. "Das hat mich so erschüttert, dass gleich klar war: Da darf nichts in Vergessenheit geraten", sagt sie.
In ihrer Freizeit fuhr sie zu Menschen in Deutschland und Europa, die die Nazi-Diktatur erlitten und überlebt hatten. Gespräche wurden geführt, Porträtaufnahmen gemacht. Die Kamera erleichterte den Zugang zu den Menschen oft nicht, im Gegenteil.
Der Münchner Verlag hat das Buch in einer Auflage von zunächst 1.000 Exemplaren gedruckt. Die parallele Ausstellung zeigt 36 Aufnahmen, davon 26 Porträts. Am Freitagabend wurde im Wermelskirchener Rathaus die Eröffnung gefeiert. Michael Schwarz war einer unter den Gästen.