Vorst im Zweiten Weltkrieg. Von Luftangriffen bleibt die kleine Landgemeinde weitgehend verschont. Aber am 22. September 1939 rücken Wehrmachtseinheiten ein. Sie gehören zur 30. Infanteriedivision, die aus Polen zurückgekehrt ist, um sich auf den Einmarsch in die neutralen Niederlande und Belgien vorzubereiten. Jeder Gaststätten-Saal wird belegt, auch das Pfarrheim. Jede Familie nimmt feldgraue Landser auf. Das Pfarrhaus wird zur Zahlmeisterei umfunktioniert. Um die Soldaten zu erfreuen, veranstaltet die Pfarrgemeinde am Heiligen Abend 1939 in ihrem Pfarrheim eine Weihnachtsfeier. Zur würdigen Gestaltung trägt der Vorster Kaplan Theodor Kniebeler mit dem Knabenchor der Pfarrgemeinde bei. Aber am Nazi-Regime übt der junge Geistliche scharfe Kritik.
Ein Geistlicher leistet Widerstand gegen die Nazis
Im April 1940 wendet sich Kniebeler in einer Predigt dagegen, dass die Düsseldorfer Gaufilmstelle ausgerechnet am „Weißen Sonntag“, an dem die katholische Kirche die Erstkommunion der Kinder feiert, zu einem NS-Propagandafilm einlädt. Nach einer Aussprache mit Bürgermeister Jakob Heyer und NS-Ortsgruppenleiter Hubert Thommessen muss Kaplan Kniebeler sich öffentlich entschuldigen.
Einen Monat später, am 9. Mai 1940, werden auch in Vorst die einquartierten Soldaten in Alarmbereitschaft versetzt, brechen auf Richtung Grenze. Schon am 14. Mai sind die Niederlande besetzt. Belgien kapituliert am 28. Mai. Am 22. Juni 1940 schließt Frankreich mit den deutschen Eroberern einen Waffenstillstand. Die deutsche Propaganda spricht von „Blitzkriegen“.
Der größte Teil der Männer aus Vorst ist nun Soldat. Auch der Kaplan Theodor Kniebeler. 1909 in Eschweiler geboren, hat er nach seinem Theologiestudium in Bonn und Freiburg am 26. Juli 1936 im Dom zu Aachen die Priesterweihe empfangen. Nach einer Tätigkeit als Kaplan in Obermaubach bei Düren ist Theodor Kniebeler im November 1938 nach Vorst gekommen, wo er sich bald allgemeiner Zuneigung erfreut. Aber am 8. Dezember 1940 wird er einberufen. Seit August 1941 steht er an der Ostfront – als Sanitäter bei einer Fahrzeugkolonne. Geistlichen gewährt die Wehrmacht ja einen Kriegsdienst, der ihnen das Töten von Menschen erspart. Auf den Transportfahrten vom Verbandsplatz ins Lazarett kümmert der Vorster sich aufopfernd um die verwundeten Kameraden. Kurze Zeit ist er dann als Militärpfarrer tätig.
Im April 1942 weilt Kniebeler auf Heimaturlaub. In Vorst studiert er einen gerade publizierten Hirtenbrief der katholischen Bischöfe: „Zur religiösen Lage in Deutschland.“ Die Kirchenmänner äußern sich besorgt über die zunehmende Diskriminierung von Geistlichen und kirchlichen Institutionen. Das greift der Kaplan in seiner Predigt während der Acht-Uhr-Messe am Sonntag, 19. April 1942, auf: „Kämpfen wir an der Front dafür, dass man in der Heimat Kirche und Religion ungestört verfolgen kann?“ Seine Ausführungen haben einen realen Hintergrund: Am Mittwoch, 30. Juli 1941, hat die Gestapo das Mülhauser Provinzialhaus der Schwestern Unserer Lieben Frau besetzt. Die Ordensfrauen wurden zum größten Teil ausgewiesen und mussten noch am selben Tag den Kreis Kempen-Krefeld verlassen. Das Ereignis hat weithin Aufsehen erregt; der Münsteraner Bischof, Clemens August Graf von Galen, hat es zu Beginn einer Predigt am 3. August 1941 erwähnt.
Was von Galen, wegen seiner Furchtlosigkeit der „Löwe von Münster“ genannt, damals in seiner Lambertikirche geäußert hat, wiederholt Kaplan Kniebeler nun in der Pfarrkirche St. Godehard in Vorst. Er tut es an diesem Sonntag auch in der zweiten Predigt um zehn Uhr. Und er kritisiert, dass kirchliche Zeitschriften wegen angeblichen Papiermangels nicht mehr erscheinen könnten; aber für Hetzschriften gegen die Kirche stehe genügend Material zur Verfügung. Von einem anonym gebliebenen Gottesdienstbesucher wird er denunziert, vom Vorster Gendarmeriewachtmeister verhaftet und in Berlin wegen „Wehrkraftzersetzung“ und „Kanzelmissbrauchs“ vor das Reichsgericht gestellt. Ihm droht die Todesstrafe.
Zeugen, aus Vorst vorgeladen, bescheinigen ihm allerdings, kein „Scharfmacher“ zu sein. Dem engagierten Geistlichen seien nur „die Pferde durchgegangen“. Also wird der Sanitätsgefreite Kniebeler „nur“ zu neun Monaten Gefängnis und anschließender Frontbewährung verurteilt. Heißt: Auf dem Boden liegend, muss er zu den angeschossenen Soldaten robben, um sie notdürftig zu versorgen und zu bergen.
Am 13. März 1944 wird er selbst schwer verwundet. Kniebeler, erst 34 Jahre alt, weiß, dass er sterben wird. Aber für den tief gläubigen Mann hat der Tod keinen Schrecken. Seiner Pflegerin, der Rot-Kreuz-Schwester Agnes Sobek, sagt er: „Ich werde drüben für Sie beten!“ Sobek in ihren Erinnerungen: „Danach hob er den Blick zum Himmel, atmete dreimal kurz und verschied.“ Und sie fügt hinzu: „Durch die Wirrnisse des Krieges war auch ich innerlich verwirrt. Aber der bewusste Tod dieses Kaplans und die Stunden davor haben wieder Licht in mein inneres Dunkel gebracht.“