Auf der Suche nach dem Wesen der Zeit

Heinz Theo Durst ist Meisteruhrmacher. An seinem ersten Schultag begriff er, dass sein technischer Beruf es auch philosophisch in sich hat. Wenn heute Nacht jedoch die Zeit umgestellt wird, leidet er physisch.

Foto: Melanie Zanin

Manchmal möchte Heinz Theo Durst die Zeit am liebsten in Obhut nehmen. Den Minutenzeiger anhalten, damit Ruhe ist und die Menschen erleben, was er jeden Tag erleben darf. Durst ist Meisteruhrmacher und vermag sich bei seiner Arbeit in einen Zustand zu versenken, der zwischen Konzentration und Meditation liegt. „Der liebe Gott hat es gut gemeint, als er mir diesen Schalter zum Umstellen einbaute“, sagt er. Er kostet die lange Weile aus und nutzt sie für seine Produktivität. Als sein Lehrer ihn an seinem ersten Tag in der Berufsschule nach dem Wesen der Zeit fragte, begriff er, dass sein technischer Beruf es auch philosophisch in sich haben würde und das war ihm sehr recht.

Eine Ahnung von alldem schlummerte ohnehin schon länger in ihm. Als Junge träumte Durst davon, in der Kölner Dombauhütte zu arbeiten. „Dort ist die Ewigkeit spürbar“, sagt er, „das reizte mich.“ Wenn in der Nacht zu Sonntag allerdings die Uhr um eine Stunde zurückgestellt wird, packt ihn die Vergänglichkeit. Dann leidet er wie ein Hund. Schläft schlecht und fühlt sich unwohl. „Kinder und Kühe vertragen das nicht“, sagt er und will einem augenzwinkernd weismachen, dass sich hier die Gene der Bauern bemerkbar machen, die neben den Goldschmieden in seiner Familie stark vertreten sind.

Dabei dreht er selbst mit am großen Rad der Zeitumstellung. Der 57-Jährige arbeitet seit 37 Jahren in dem Familienunternehmen Wempe, dessen Düsseldorfer Filiale sich am Corneliusplatz befindet, gleich gegenüber der Standuhr mit dem hübschen Namen „Schlanke Mathilde“. Durst hat 2010 die ehrenamtliche Wartung der Uhr übernommen, die 1901 aus Berlin nach Düsseldorfer geliefert und vier Jahre später aufgestellt wurde. „Ich schaue regelmäßig nach, ob alles in Ordnung ist.“

Ursprünglich hatte Heinz Theo Durst Blankwaffenschmied werden wollen. Kurz nach seinem Vorstellungsgespräch starb der Meister, der ihn ausbilden wollte, also musste er neu überlegen. Das Uhrmachergewerbe erschien ihm attraktiv, jedoch war er nicht sicher, ob sein Temperament den Anforderungen standhalten würde.

„Bevor man sich vorstellen durfte, musste man seine Konzentrationsfähigkeit unter Beweis stellen.“ Durst wurde eine heillos verbogene Drahtspirale aus einem Wecker vorgelegt, die er gerade richten sollte. Das konnte nicht gelingen, gelang niemandem. „Aber ich hatte eine Stunde lang hochkonzentriert daran gearbeitet, das überzeugte den Meister.“ Vier Jahre Ausbildung, zehn Jahre ohne Urlaub. Durst fuhr in seiner freien Zeit zu den Uhrmacherkünstlern ins Schweizer Jura-Massiv, um zu lernen.

Müßiggang, das Verwöhnprogramm des Zeitgefüges, gönnt er sich bis heute selten. In diesen Momenten liest er Gedichte, am liebsten von Heine, träumt von Rom, der Ewigen Stadt, und erfreut sich an Bäumen. „Ich liebe alte Bäume. An ihnen lässt sich so schön die Zeit ablesen.“