Bilderbuch „Besuch aus Tralien“: Wie passt das Krokodil in unsere Heimat?
Mit seinem neuen Bilderbuch „Besuch aus Tralien“ erkundet Martin Baltscheit Grenzen der Globalisierungen in den Köpfen.
Düsseldorf. „Wie sehen Australier eigentlich aus?“ Die verstörende Antwort erscheint den Düsseldorfer Gasteltern am Flughafen: Dave, der Austauschschüler, ist grün. Er hat jede Menge Zähne im Mund und sagt kein Wort. Lange rätseln die wohlmeinenden Mittelstandsmenschen, wie sie Dave von ihrer Lebensart überzeugen können. Sie gehen zum Fußball, veranstalten eine Poolparty und konsultieren die Psychologin. Doch das fremde Wesen interessiert sich mehr für den Koi im Gartenteich als für ihr Essen und das Zähneputzen. Immerhin hat der „Besuch aus Tralien“ 72 Stück davon.
Dave ist ein Krokodil. Das sieht jedes Kind, wenn es die ersten Seiten von Martin Baltscheits (Foto: dpa) neuestem Buch aufschlägt. Der Text aber vermittelt etwas anderes. Ist der lange Schwanz ein Zopf? Die Hautfarbe eine Krankheit? Das Paar, dessen Sohn Piet in Downunder weilt und begeisterte Textnachrichten schickt, will so sehr, dass Dave in diese Welt passt. Sie zerren und ziehen, werden wütend, schämen sich und versuchen es aufs Neue.
Dass die Illustrationen von Maria Karipidou nur scheinbar nicht zur Story passen, vergrößert den Reiz beim Lesen — und beim Vorlesen. Gemeinsam mit Kindern rätselt man, wie das gehen könnte mit Dave in Düsseldorf. Die Bilder scheinen trotz Handy und Sushi herrlich aus der Zeit gefallen und erinnern mit ihren Taillen und Hüften eher an eine Ästhetik der Sixties.
„Eine absurde Idee bringt alles durcheinander. Das ist doch eine Geschichte wert“, findet Baltscheit. Er ist auf dem Sprung zur Buchmesse nach Frankfurt, wo er „Besuch aus Tralien“ vorstellt. Was ist deutsch? Was ist Identität? Und wie passen Heimat und Globalisierung zusammen? Diese Fragen treiben ihn um und führen zu einer solchen Story. „Das ist ähnlich wie beim Sams oder bei Paddington. Bei mir ist es das Krokodil“, erklärt der Düsseldorfer Künstler, der sich selbst als Regisseur seiner Bücher versteht, auch wenn er die Illustrationen nicht immer selbst zeichnet. Schon im Manuskript gebe er genau an, welches Bild zu welchem Text gehöre.
„Bücher lesen und vor allem vorlesen ist nicht wie fernsehen. Das ist ein Gemeinschaftserlebnis.“ Baltscheit brennt für seine Profession und brüllt dabei schon mal wie sein Löwe, der nicht schreiben konnte. „Klar finde ich mich in den Figuren wieder.“ Mit seiner Frau, den beiden neunjährigen Söhnen und der dreijährigen Tochter lebt er in Unterbilk. Die Jungs nimmt er mit nach Frankfurt zur Messe. Er will ihnen zeigen, was er arbeitet.
Baltscheits Visionen wachsen zuweilen weit über Buchdeckel hinaus. So ist er überzeugt, dass er eine Lösung weiß gegen das Zerfallen Europas, das Erstarken nationaler Kräfte und das Gegeneinander der Mitglieder. „Jeder 18-Jährige und jeder 80-Jährige sollte drei Monate kostenfrei durch Europa reisen können.“ Baltscheit schwebt ein Netzwerk von Hostels und Kontakten vor. „Es steckt eine Lust im Menschen, gegen das zu sein, was er nicht kennt. Deshalb sollten alle, egal wie gebildet oder wie reich, auf Reisen gehen.“ Diese Reisenden werden die Fremde nicht mehr fürchten, meint er. „Sie werden ein größeres Bild haben.“ Und vielleicht wie Piet, der Austauschschüler aus Düsseldorf, nach seiner Reise erkennen, dass wir alle, egal ob Mensch, Krokodil oder Blume, Planetarier sind.