Eine Branche im Wartestand Sexarbeiterinnen wollen Klarheit
Düsseldorf · Auch die Arbeit in Bordellen, Laufhäusern und Terminwohnungen steht während der Corona-Pandemie still. Viele Frauen bangen um ihre Existenz.
Wenn Restaurants keine Tische besetzen und Friseure keine Haare schneiden dürfen, wenn Patienten Angst haben, zum Zahnarzt zu gehen und der Besuch von Konzerten und Fußballspielen nicht erlaubt ist. Wenn Abstand halten oberstes Gebot ist, dann gibt es auch noch eine weitere Branche, die davon betroffen ist — weil bei ihr Nähe quasi zum Geschäftskonzept gehört: Auch Menschen, die bisher ihr Geld mit Sexarbeit verdient haben, mussten Mitte März eben diese Arbeit niederlegen. Und bangen nun, ob und wie es weitergeht.
„Im Moment habe ich das Gefühl, hier festzusitzen“, sagt Mia. Sie hat vor dem Lockdown in Düsseldorf als Sexarbeiterin gearbeitet und war nun auf Soforthilfe und Arbeitslosengeld (ALG) angewiesen. Sie kommt nicht aus Deutschland, aber aus dem europäischen Ausland. Woher genau, das möchte sie nicht sagen. Und doch ist es diese Tatsache, die ihr in der Krise eine bessere Situation bringt, als vielen anderen.
„Für Frauen aus der EU wurden ALG und Soforthilfe geöffnet“, sagt Birgit Schmitz, Leiterin von Rahab, der „Beratung für Menschen in der Prostitution“ des Sozialdienst katholischer Frauen und Männer (SKFM) in Düsseldorf. Die Beratungsstelle gibt es erst seit August 2019, jetzt wurde sie direkt wichtiger denn je. „Viele von ihnen leben in den Einrichtungen, in denen sie auch arbeiten“, sagt sie. Man habe befürchtet, dass viele auf der Straße landen würden, sobald sie nicht mehr arbeiten dürfen. Doch zum Glück haben viele Betreiber die vorwiegend Frauen weiter in den Einrichtungen wohnen lassen. Die, die das nicht durften, wurden durch die Obdachlosenhilfe untergebracht. Diejenigen, die aus dem Nicht-EU-Ausland kommen, hätten größere Probleme, sich über Wasser zu halten.
Die Existenzsicherung war nun auch die Hauptaufgabe der Beratungsstelle — auch wenn es vorher mehr um andere Themen ging und die Sozialarbeiterinnen vor allem aufsuchend tätig waren. Also in die Einrichtungen gekommen sind, um den Frauen Infomaterial und das Angebot einer Beratung zukommen zu lassen. Katharina Bongardt ist eine dieser Sozialarbeiterinnen und hat auch im Moment viel Kontakt zu den Sexarbeiterinnen.
„Die meisten wollen einfach wissen, wie und wann es weitergeht“, sagt sie. Dabei gehe es nicht darum, dass sie sofort weiterarbeiten wollen. Denn die Gefahr der Pandemie ist den meisten bewusst. Vielmehr gehe es um Klarheit: Muss ich mir einen Alternativjob suchen? Oder sollte ich in meine Heimat zurückfahren, bis alles vorbei ist?
So geht es auch Mia. „Wie kann ich einen anderen Job annehmen, wenn ich nicht weiß, wie lange ich dafür verfügbar bin?“ Denn sie würde, sobald möglich, gerne wieder der gleichen Arbeit nachgehen, wie vor dem Lockdown. „Ich habe meine Träume — und die kann ich so am schnellsten verwirklichen“, sagt Mia. Sie will genug Geld verdienen, um sich mit ihrem zehnjährigen Sohn und ihrer Mutter in ihrer Heimat niederlassen zu können. Mit anderen Jobs habe das Geld dafür bisher nie gereicht.
Selbst wenn es auch Frauen gebe, die in der Zwangspause darüber nachdenken, ob sie weiterhin als Sexarbeiterin tätig sein wollen, gebe es auch viele, die nur warten, dass es weitergeht, sagt Birgit Schmitz. Dabei stand zwischendurch auch die Befürchtung im Raum, die Regierung wolle mit der aktuellen Zwangspause das nordische Modell einführen, mit dem zwar nicht die Arbeiterin, sondern der Freier kriminalisiert wird, das aber die Arbeit der Frauen erheblich schwieriger macht. Denn viele wollen eben genau in diesem Berufszweig arbeiten.
Auch der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen hat den Vorstoß 16 Bundestagsabgeordneter, die ein Sexkaufverbot gefordert hatten, kritisiert. In einem offenen Brief prangert der Verband auch an, dass Sexarbeit weiter verboten bleibt, andere Dienstleistungen, die Körperkontakt oder Nähe beinhalten aber bereits wieder geöffnet wurden. „Sexarbeiter*innen haben per se ein großes Interesse an Hygiene und ihrer Gesundheit, denn die ist ihr Kapital. Auch sind sie schon immer geübt unter Beachtung von Schutzmaßnahmen zu arbeiten“, heißt es darin. Außerdem habe die Branche bereits ein Hygienekonzept erarbeitet. Weniger Kunden, größerer Abstand in den öffentlichen Bereichen der Laufhäuser, Lüften und Reinigen und natürlich die Dokumentationspflicht. „Wenn die Sexarbeitsbranche sich und ihre Gäste gut selbst schützen kann, die Corona-Pandemie weitestgehend gestoppt werden konnte, lassen sich Prostitutions-Verbote und die Schließung der Bordelle mit dem Infektionsschutzgedanken nicht mehr rechtfertigen“, erklärt der Verband.