Culcha Candela in Düsseldorf: Auch vor der Bühne wird’s wild
Zwei Stunden lang zeigte Culcha Candela eine Mischung aus Pop, Techno und Hip-Hop.
Düsseldorf. Der Moment, in dem klar wird, dass nichts mehr so ist wie früher, kommt spätestens nach 70 Minuten: Da stehen Culcha Candela in seltsamen Raumanzügen in der Halle an der Siegburger Straße und singen zu einer Tanzchoreografie aus Roboterbewegungen:
„Du machst meine Hardware ganz weich mit Deinem Megaherz.“ Die Bühne ist ein riesiges Stufengebilde, in dessen Hintergrund die Leuchtdioden einer meterlangen Multimediawand flackern. Das Publikum zückt die Handys. Die Vergangenheit ist tot.
Culcha Candela auf der „Flätrate“-Tour 2012 haben rein gar nichts mehr zu tun mit jener Band, die sich vor zehn Jahren in Berlin zusammenfand. Damals begannen Johnny Strange (Uganda), Itchyban (Polen), Mr. Reedoo (Deutschland), DJ Chino (Korea), Larsito und Don Cali (Kolumbien) als multiethnisches Reggae- und Dancehall-Kollektiv und machten auf Kult-Festivals wie dem Summerjam die traditionsbewussten und konsequent in der langen Geschichte ihrer Szene verwurzelten Rastafari und Dreadlocks-Träger rasend.
Heute fehlen diese unter den gut 6000 Zuschauern. Heute stehen da Eltern mit ihren Kindern, Teenager, Mittzwanziger, Mittdreißiger und Mittvierziger und verbreiten Disco-Atmosphäre zu Pop, Techno und Hip-Hop.
Heike aus Köln, immerhin gestandene 36 Jahre alt, johlt zwei Stunden lang entrückt: „Sie ist ein Monstaaaa“, „Du bist Hamma“ und „Hey, Du geile Sau“. Yannick (11) aus Düsseldorf sitzt zwischen Mama und Papa und bekommt beim ersten Konzert seines Lebens große Augen. Und Sabine (24) aus Essen beweist Multitaskingfähigkeiten: Mit rechts hält sie das Handy. Mit links winkt und trinkt sie. In der Armbeuge baumelt das Handtäschchen.
Ihre Beine tanzen zu „Von Allein“ ganz von allein: sieben Schritte nach rechts, Kick, sieben Schritte nach links, noch mal Kick. Die Band singt: „Ich will nur eine mit Herz, Kopf, Arsch und Pepp“.
Culcha Candela haben die Frauen-Tanztruppe „Instinct“ dabei, die wild mit Hüften kreist und Hintern wackelt und wie eine Mischung aus Supremes, Spice Girls und No Angels daherkommt. Culcha Candela bitten das Publikum bei ruhigen Stücken nicht darum die Feuerzeuge, sondern die I-Phone-Displays in die Höhe zu halten.
Nur hier und da blitzt die alte Zeit noch auf — etwa wenn Culcha Candela in Stücken wie „Union Verdadera“ oder „Next Generation“ Spanisch oder den Jamaika-Slang Patois singen, der Reggae durchscheint und es direkt vor der Bühne plötzlich auch mal wild wird.
Ansonsten gilt: Die Berliner haben alte Attitüde und frühen Idealismus weit hinter sich gelassen und eingetauscht gegen die reine XXL-Bühnenshow, die den Songtext mehr oder weniger entbehrlich macht. Trotzdem: Das, was sie gerade tun, das tun Culcha Candela konsequent gut. Der Rastaman ist tot. Es lebe das professionelle Pop-Entertainment.