Deutschland gegen Brasilien: Aus Vorfreude wird blankes Entsetzen

Brasilien kassiert beim 1:7 eine historische Niederlage. Trotzdem wird nach dem Spiel schon wieder Samba getanzt. Auch viele deutsche Fans feiern vor der Sucos do Brasil an der Kasernenstraße

Für brasilianische Fans entwickelte sich das Halbfinale zum Alptraum.

Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Bereits mehr als eine Stunde vor dem Spiel ist die Kasernenstraße fest in brasilianischer Hand. Gelb-grüne Fahnen, rhythmische Samba-Klänge aus den großen Boxen und der Geruch von frisch gemixten Caipirinha — es herrscht eine einladende Atmosphäre an der Cocktail-Bar in Sucos do Brasil.

„Wir haben hier schon viele Spiele gesehen und die Brasilianer sind einfach gastfreundlich und friedlich. Es macht hier großen Spaß“, sagte Olaf Meyruhn aus Meerbsuch, einer der ebenfalls zahlreich vertretenen deutschen Fans, die sich neben den Brasilianern und die vielen Schirme zwängten, um sich vor dem schlechten Wetter zu schützten.

Doch bei aller gemeinsamen Vorfreude auf das große Halbfinale werden die Unterschiede in der Fan-Kultur beider Lager schnell deutlich. Während sich die meisten Deutschland-Fans auf die Analysen der Experten vor dem Spiel einstimmen wollen, verzichten die Gastgeber im Sucos do Brasil komplett auf die Vorberichterstattung. Stattdessen läuft laute brasilianische Musik, vereinzelte Fans zeigen gar trotz des schlechten Wetters kleine Samba-Einlagen.

Dann wird es ernst. Die Mannschaften kommen auf den Platz. Und mit ihnen gibt es den ersten richtigen — und wohl letzten brasilianischen — Höhepunkt für diesen Tag. Rund 300 Besucher im Sucos machen sich für die Hymnen bereit. Doch während die wenigen deutschen Fans ihre Hymne allenfalls mitsummen, stimmen die Fans der Selecao lautstark bei ihrer ein. Besonders als Mannschaft und Fans im ausverkauften Stadion in Belo Horizonte die letzte Strophe der Nationalhymne a-capella intonieren, singen auch die südamerikanischen Schlachtenbummler vor der Bar lautstark mit.

Diese Emotionalität der WM-Gastgeber wird auch zu Beginn des Spieles deutlich. Es sind vor allen Dingen die Frauen, die die Selecao immer wieder lautstark nach vorne schrien. „Bei uns ist die ganze Familie beim Fußball voll dabei, auch wir Frauen“, erklärte Vanderleia Notzon die leidenschaftlichen Anfeuerungen vieler weiblicher Fans.

Doch die gute Stimmung der Brasilianer hält nicht lange an. Das 0:1 durch Thomas Müller ist mehr als ein kleiner Dämpfer. Und es wird nicht mehr besser. Die deutsche Mannschaft zerlegt die Gastgeber in ihre Einzelteile. 0:5 steht es schon zur Pause. Freuen sich die Gastgeber während der ersten deutschen Treffer noch offiziell mit, in dem sie stets bei einem Treffer den Kommentar aussetzen und den WM-Song einspielten, herrscht kurze Zeit später blankes Entsetzen.

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Spätestens beim 0:3 ist bei keinem Treffer mehr die Tormelodie zu hören. „Ich schäme mich heute für die Selecao. Es ist eine Katastrophe“, bringt Caique Silva die Gefühle seiner Landsleute auf den Punkt. Auch einige deutsch-brasilianische Pärchen, die das Spiel an der Bar verfolgten, stellte das Ergebnis auf eine große Probe.

Beispielsweise für Tobias Schäfer und seine brasilianische Freundin Luisa Santin Garcia, die ihren Freund passend zum Spiel besucht. „Die Selecao darf heute auf keinen Fall verlieren“, hoffte Garcia noch vorher. Doch je mehr Treffer Deutschland erzielt, desto mieser wird die Laune. Auch Tobias Schäfer kann sich kaum noch freuen und zeigt Mitgefühl für seine brasilianische Freundin und allen anderen, die es mit den Gastgebern halten.

Das haben diese auch nötig. Aber alle geben sich das Ende nicht mehr. Bereits zur Pause verabschieden sich immer mehr Brasilianer von der Leinwand. Viele machen sich auf den Weg nach Hause, einige versammeln sich rund um die Theke an der Bar und ertränken ihren Frust.

Erst zum Ende des Spieles, als die Brasilianer bereits hoffnungslos zurückliegen, stellt sich bei den wenigen gelb-grünen Fans, die bis zum Abpfiff vor der Bar ausharren, wieder bessere Stimmung ein. „Bei uns Brasilianern ist es egal, ob wir gewinnen oder verlieren. Wir lassen uns unsere Lebensfreude nicht nehmen“, sagt Kellner Alessandro Souza. Was in diesen Stunden sicher nicht für alle gilt.

Trotzdem tanzen schon die ersten Fans der Selecao auch nach dem Spiel zu rhythmischen Sambaklängen vor der Bar und unterstreichen, dass das Public-Viewing vor der Cocktail-Bar eine gelungene Veranstaltung ist — ganz egal, wie das Spiel für die brasilianische Nationalelf lief. Selbst, wenn es am Ende 1:7 heißt und das Team eine historische Niederlage kassiert.