Die Kammer der verlorenen Schätze
Heilwasser aus Lourdes, armlose Ikonen: 10 000 Gegenstände gehen jährlich verloren und finden ihren Weg ins Fundbüro.
Die passende Lektüre für seinen Job hat er direkt am Arbeitsplatz liegen, denn das Leben schreibt hier die Geschichten. Siegfried Lenz Roman „Fundbüro“ steht prominent auf dem vollgepackten Schreibtisch von Werner Schwarz. Ständig klingelt das Telefon.
„Die Hüter der verlorenen Schätze“ nennt der langjährige Leiter des Fundbüros sich und sein vierköpfiges Team („Was besseres gibt’s nicht. Wer einmal hier arbeitet, der geht nicht mehr!“). Hat was von Indiana Jones und genug Requisiten, um sich wie der berühmte Film-Archäologe einzukleiden, hat Schwarz en masse. Denn in einem halben Jahr — so lange werden die Fundsachen in den Lagerräumen aufbewahrt - sammelt sich so einiges an. Pro Jahr sind es rund 10 000 Gegenstände, 800 davon sind Fahrräder. Schlüssel und EC-Karten sind aus der Rechnung mal ausgenommen. Alles, was dann nicht abgeholt wird, wird versteigert oder entsorgt.
Eine Wand voll mit Schlüsseln hängt direkt in der Nähe des Eingangsbereichs. Die Schränke mit Handys und Laptops befinden sich weiter hinten: „Wir sind immer auf dem neusten Stand in Sachen Elektronik hier.“ Gefunden werden die Sachen überall, ob in der Altstadt oder in Angermund. „Es gibt nichts, was wir nicht hier haben“, sagt Schwarz und schmunzelt. In den 35 Jahren seiner Tätigkeit hat er schon so manchen Gegenstand und so manchen Menschen, kommen und gehen sehen. „Einige sind Wiederholungstäter. Die erkennt man dann im Laufe der Zeit wieder“, sagt er. So sei das, wenn man nicht auf Schlüssel oder Portemonnaie achtgebe. Gut, dass alles archiviert ist. Vom Gebiss bis hin zur Beinprothese: Alles ist in der Datenbank des Fundbüros ordentlich sortiert und auffindbar. Wie der Kanister mit dem Heilwasser aus Lourdes, der eines Morgens am Busbahnhof stand. „Wir vermuten, dass jemand eine Wallfahrt gemacht hat und dann das heilige Wasser beim Ausstieg vergessen hat“, erklärt der Leiter.
Jetzt steht das Wunderwasser direkt unter der großen Jesus-Ikone, die bei einem Einbruch ihre Hand verloren hat. Doch das Weltliche ist auch hier nicht allzu weit: Ganz in der Nähe hängt ein Negligé mit schwarzen Strapsen, daneben steht eine Schaufensterpuppe mit knappem Rock und Netzoberteil. „Die Fundpuppe wurde in der Altstadt ohne Kopf gefunden. Wir haben ihr hier einen neuen verpasst“, erklärt Schwarz. Einige Gegenstände seien eben viel zu schön, um weggeschmissen zu werden. So wie das mit Teppichklebeband bezogene Fahrrad, das Sattel und Lenkrad mit Kunstrasen bezogen hat. „Das ist Kunst, da konnten wir uns noch nicht von trennen“, betont Schwarz .
Rund 50 Prozent der gefundenen Gegenstände finden ihren Weg zurück. Wer etwas verloren hat, der sollte neben der Hoffnung auch nicht die Geduld aufgeben. Es kann bis zu zwei Wochen dauern, bis die Sachen registriert sind. „Ich habe hier schon große Gefühlsausbrüche erlebt. Letzte Woche hat ein Mann seine Jeansjacke abgeholt und vor Freude geweint“, sagt Schwarz. Wieder klingelt das Telefon. „Ein 100 Kilo schwerer Gasgrill ist an der Brunnenstraße gefunden worden“, ruft ein Mitarbeiter Werner Schwarz zu. Wer den wohl vergessen hat?