Die Künstler schippern in den Untergang

Die Schauspieler in „Das Schiff der Träume“ im Central sind ein Erlebnis. Zuvor gibt es unter den Zuschauern nur eins: Was passiert mit dem Schauspielhaus?

Foto: Matthias Horn

Die Zuschauer knubbeln sich im Central. Auf der Kleinen Bühne hat an diesem Abend „Das Schiff der Träume“ angelegt. Eine sehenswerte Inszenierung, die Intendant Wilfried Schulz aus Dresden mit nach Düsseldorf gebracht hat. Auf der Großen Bühne nebenan sorgt „Terror“ wieder mal für volles Haus. Das vor fünf Wochen neu gestartete Theater läuft, könnte man meinen. Doch die Situation ist anders: Schulz ist umlagert von Besuchern, die ihrem Unmut über die vom Oberbürgermeister entfachte Debatte zur Nutzung des Schauspielhauses am Gründgens-Platz Luft machen: Entsetzen und Unverständnis, Wut und Rätselraten über die Beweggründe, die Geisel treiben.

Der Intendant redet, erklärt und weiß selbst nicht, wie ihm geschieht in dieser Stadt. Fast wie ein Beweis führt dieser Theaterabend vor, warum das Central zwar eine Ausweichspielstätte aber nicht das Schauspielhaus der Stadt sein kann. Das „Schiff der Träume“ ist mit seinen drei Decks und drei Spielebenen eingequetscht unter der Gitterdecke. Im Staatsschauspiel Dresden öffnete sich über dem Ozeandampfer Gloria N. der Sternenhimmel. So etwas kann es in diesem als Probebühne konzipierten Raum nicht geben.

Und zum Schluss, wenn die Zuschauer nach eineinhalb Stunden hochkarätigem Schauspiel raus wollen, redend bei einander stehen oder zur Garderobe drängen, schieben sich die anderen nach der Pause rein in den „Terror“-Saal. Es stockt und staut sich: Für 800 Besucher ist dieser Ort nicht gedacht.

Dass die Vorstellungen des Theaters wohl auch weiter gut besucht werden, dafür sorgt ein überzeugendes Ensemble auf der Bühne. André Kaczmarczyk, der auch als Enkidu in „Gilgamesh“ und als „Der Idiot“ sein Können beweist, zeigt an diesem Abend eine herrlich überspannte Vorstellung: Als Operndiva Ildebranda wechselt er nicht nur in halsbrecherischem Tempo Kleider, Schuhe und Stimmlagen, er schafft es zudem, diese nach unerreichbaren Tonhöhen und Begeisterungsgipfeln gierende Künstlerin nicht zu karikieren oder zu verraten. Wenn er durchaus stimmgewaltig eine Arie schmettert, wird das Gefühl greifbar. Und wenn er sich in die ihm hingestreckten Arme stürzen will, nimmt man der Diva den aufstampfenden Ärger ab, weil die Dilettanten unter ihr nicht genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind.

Ildebranda zählt zu einer Gesellschaft weltvergessener Schauspieler, Musiker und Adliger, die unterwegs sind, um eine legendäre Sängerin auf hoher See zu bestatten. Sie überzeichnen sich selbst und ihre Kunst bis ins Absurde, so dass es beim Zuschauen ein Vergnügen ist. Ines (Claudia Hübbecker) gelingt es, mit ihrem Gesang den Stummfilmkomiker Ricotin (Kilian Land) in ein Huhn zu verwandeln, der sich mit perfektem Kopfwackeln, Fußscharren und Gegacker hin und her bewegt.

In ihren etwas verrutschten Roben zelebrieren diese Menschen eine groteske, längst verlorene Existenz, ohne dass sich die Darsteller in gespielten Albernheiten verlieren. Regisseur Jan Gehler verlässt den wundersamen Rahmen dieser poetischen Geschichte auch dann nicht, als das Schiff in Seenot geratene Flüchtlinge an Bord nimmt. Hier verzichtet er auf den Holzhammer und lässt eine Gruppe goldgelockter Kinder auftreten. Sie wärmen Ildebranda das Herz - wenn sie als Madama Butterfly ihre Muttergefühle entdeckt. Fürsorglich bekommen alle eine Schwimmweste. Dann werden sie mit weicher Hand von Deck in den sicheren Tod geschickt. Bilder, die sich daraufhin einstellen, entstehen nur im Kopf der Zuschauer. Das ist die Kunst.

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