Forschung in Düsseldorf „DenXte“: Uni-Team lädt Bürger zum Nachdenken ein

Düsseldorf · Ein Philosophen-Team der Uni geht neue Wege, um Wissen zu teilen – mit einem Podcast und Debattier-Abenden in der Stadt.

Professor Markus Schrenk handelt mit seinen neuen Ansätzen ganz im Sinne der Bürgeruni.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Was kann der Einzelne tun, um Nachhaltigkeit zu leben? Ist Eigentum ein selbstverständliches Recht? Gibt es klare Unterschiede zwischen Freundschaft und Liebe? Drei sehr unterschiedliche Fragen, die eines gemeinsam haben: Es lohnt sich, darüber nachzudenken. Und genau dazu will ein Philosophen-Team der Uni Düsseldorf anregen. „DenXte“ heißt ihr interaktives Format, mit dem sie den sogenannten Elfenbeinturm der Hochschule verlassen und zu Gedankenexperimenten einladen. Für diese neue Art Wissen zu teilen, wurde das Team mit dem „Communicator-Preis“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Stifterverbandes ausgezeichnet.

Viele folgten der Einladung
zum Gedankenaustausch

Die Philosophie ist eine Wissenschaft im ständigen Wechsel, sie beschäftigt sich auch mit aktuellen, gesellschaftlich relevanten Themen. „Sie kann Debatten anstoßen, Denkanstöße geben, Menschen dazu anregen, sich eine fundierte Meinung zu bilden“, sagt Markus Schrenk, Professor für Theoretische Philosophie. Die Idee zum Gedankenaustausch über die Uni hinaus hatte er schon vor mehr als 20 Jahren als Masterstudent, aber die Zeit – ohne selbstverständlich verfügbares Internet, ohne Smartphone – war damals wohl noch nicht reif dafür. Mittlerweile schon, deshalb gründete er „denXte“ und sprach damit eine Einladung aus zum Mitdenken – ganz im Sinne der Bürgeruni.

Das Interesse hat ihn allerdings verblüfft. Gleich an den ersten Abenden folgten viele Düsseldorfer seiner Einladung zum Gedankenexperiment ins Haus der Universität am Schadowplatz. Ganz gleich ob es um Themen ging wie „Was sind Fake News?“ oder „Sind Menschen rationale Wesen?“ – der Saal war immer voll. „Wohl auch deshalb, weil wir die Themen spielerisch und gleichzeitig anspruchsvoll beleuchten“, so Berit Weiß, Schrenks Teamkollegin. Und deshalb wird das Publikum an den Abenden immer zu Beginn um seine Meinung gebeten, per Abstimmung mit dem Smartphone. Danach erläutert ein Experte, renommierte Philosophinnen und Philosophen aus dem deutschsprachigen Raum, das Thema „mit einer tiefgreifenden Analyse und einem Abwägen aller Aspekte“. Danach wird noch mal abgestimmt. Die Ergebnisse weichen oft deutlich ab, weil viele Teilnehmer offenbar zu neuen Erkenntnissen kommen.

Wie etwa an einem Abend mit der Düsseldorfer Philosophin Simone Dietz und dem Thema „Brauchen wir Prinzipien, um moralisch zu handeln?“ Hintergrund war ein konkretes Szenario: Die Frau eines Arztes (der in einem Impfzentrum arbeitet) ist schwer krebskrank, hat eine Chemotherapie hinter sich, ist geschwächt und daher höchst gefährdet. Er würde sie gern gegen das Coronavirus impfen, sie ist aber noch nicht priorisiert, und seine Chefin lehnt eine Bevorzugung der Ehefrau ab. Wie soll er sich entscheiden? Am Anfang des Abends fällt die Abstimmung eindeutig aus: das Publikum ist zu 75 Prozent dafür, dass er seine Frau impft.

Es folgte eine detaillierte Abwägung aller moralischen Aspekte und möglicher Konsequenzen, Simone Dietz nannte neun Argumente, die für eine Impfung sprechen, etwa dass Lebensrettung wichtiger sei als das Einhalten von Regeln. Oder dass er durch sein Treueversprechen bei der Eheschließung verpflichtet sei, ihr zu helfen. Aber sie nannte auch neun Argumente, die dagegen sprechen könnten: dass er Gefahr läuft entlassen zu werden, gar Strafverfolgung ausgesetzt sei. Und dass sein Standeseid ihn dazu verpflichtet, allen Patienten zu helfen und keinen Menschen zu bevorzugen. Diese unterschiedlichen Perspektiven zeigten das ganze Dilemma des Arztes und dass seine Entscheidung vom moralischen Standpunkt nicht ganz so eindeutig war, wie zunächst angenommen. Die anschließende Abstimmung spiegelte diesen Zwiespalt: Nun waren nur noch 50 Prozent dafür, dass er seine Frau impfen sollte.

Neben den Abenden, Fortsetzung folgt im Herbst, produziert das „denXte“-Team einen Podcast, bei dem jede Folge ein Thema in den Fokus rückt. Wer eine philosophische Frage hat, kann sie einreichen (www.denXte.de). Ein Studierenden-Team recherchiert mögliche Antworten, diskutiert mit den Fragestellern, bevor der Austausch auf den bekannten Plattformen erscheint.

Damit hat „denXte“ auch das Philosophiestudium verändert. Es regt angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, Erkenntnisse so in die Öffentlichkeit zu transportieren, dass sie für jeden verständlich sind und Lust wecken, am Gedankenspiel teilzunehmen. Das „X“ in „denXte“ steht für genau dieses Experiment. „Es ist aber auch dem Kreuzchen auf einem Wahlzettel nachempfunden“, so Schrenk. Und nicht zuletzt symbolisiert es den Düsseldorfer Radschläger – und damit die Nähe der Uni zu den Bürgern der Stadt.