Stadt-Teilchen Eine traurige Versammlung körperloser Kunstwerke

Düsseldorf · Wieso reicht es bei Skulpturen nur zum Kopf ohne Oberkörper? Eine kleine Rundfahrt.

Robert Schumann sieht aus, als habe jemand einen Teigkloß auf einen Betonsockel gesetzt.

Foto: ja/Hoff

Ferdinand friert. Er hat ein blaues Mützchen auf. Das wirkt ein bisschen putzig, weil man ja nicht annahm, dass der Urvater der Sozialdemokratie so etwas bevorzugt. Wahrscheinlich ist ihm das mit dem blauen Mützchen auch gar nicht so recht. Es passt nicht zu seiner Würde. Aber was soll Ferdinand Lassalle tun? Er ist wehrlos, denn im Garten des Stadtmuseums findet sich ja nur sein Kopf. Der thront auf einer Säule und liegt ein wenig versteckt im Gebüsch gleich links, wenn man den Minipark betritt. Irgendwer hat sich gedacht, dass der arme Mann, der da tagaus tagein ausharren muss, Wärme braucht. Oder ist das Mützchen ein Kommentar zum akuten Zustand der SPD? Man weiß es nicht, denn der Kopf verweigert das Sprechen.

Er muss auch nicht sprechen, denn sprechen ist nicht seine Aufgabe. Ein Kopf als Skulptur soll vor allem herumstehen und an irgendwas oder irgendwen erinnern. Warum es nur für einen Kopf und nicht auch für ein kleines bisschen Oberkörper gereicht hat, weiß niemand, den ich kenne. Es ist auch egal. Ganz offensichtlich geht es ja um den Kopf und um das, was einst in ihm vorging. Anders kann ich mir diese sehr bewusste Körperlosigkeit nicht erklären.

Sie hat aber mein nachhaltiges Interesse geweckt, weshalb ich mich am Dienstag unmittelbar nach dem Besuch beim bemützten Ferdinand auf die Suche begeben habe nach weiteren Skulpturen, die ganz bewusst die Körperlichkeit verweigern. Ich war quasi als Headhunter unterwegs, als Kopfjäger des verlorenen Schatzes.

Kouros fristet unter einer Schnellstraßenbrücke sein Leben.

Foto: ja/Hoff

Schnell wurde ich fündig. Neben der Oper stieß ich auf den Schädel von  Christian Dietrich Grabbe. Der hat, ehrlich gesagt, nicht das ganz große Kopflos gezogen. Er neigt sein Haupt in Tristesse und schaut weg von dem nach ihm benannten Platz. Wahrscheinlich ist das als Kommentar gedacht zum von Alkohol und Misserfolg geprägten Leben des Dramatikers, der sich in der Komödie „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ so trefflich mit der Frage befasst hat, was denn passiert, wenn der Teufel wegen eines Putztages kurzfristig die Hölle räumen und sein Glück auf der Erde suchen muss.

Gedankt wurde es ihm zu Lebzeiten kaum, und auch an diesem Dienstag scheint nicht sein Tag, denn deutlich sind Rinnsale von Hinterlassenschaften gefiederter Freunde zu sehen, die sein Gesicht durchziehen. Käme Grabbe in einer Verpackung daher, müsste draußen „Kann Spuren von Vogelkot enthalten“ draufstehen. Aber wenigstens hat man ihm ein ganz kleines bisschen Oberkörper spendiert. Nicht viel, aber doch so viel mehr als dem guten Robert Schumann gegönnt wurde.

Der ruht ein paar Meter weiter in Grabbes Blickrichtung und macht bei der ersten Begegnung den Eindruck, als habe da jemand einen Teigkloß auf einem Betonsockel vergessen. Da hilft auch das daneben installierte Stück Laub wenig. Es lässt den Komponisten kaum fröhlicher erscheinen. Hatte denn früher niemand gute Laune, die sich per Skulptur festhalten ließ? Oder bekamen nur jene, die schlecht drauf waren, nachträglich einen Kopf auf Beton geschenkt?

Christian Dietrich Grabbe neigt sein Haupt in Tristesse.

Foto: ja/Hoff

Trotzdem mögen die Düsseldorfer diesen Teigkloß, denn im vergangenen Jahr gab es ein Riesentrara, als er plötzlich verschwunden war.
Von den berüchtigten Metalldieben, die immer Denkmäler heimsuchen, war die Rede, bis sich dann herausstellte, dass Schumann nur kurz in der Waschanstalt war. Zum Aufhübschen.

Wirklich viel geholfen hat es ihm nicht, denn auch er ist danach häufiger Opfer von auf ihm ausruhenden Vögeln geworden. Das ist wohl das Schicksal einer Büste, dass man sich von jeder hergeflogenen Taube bescheißen lassen muss. Man kann nicht einfach mit der Hand nach dem Viech schlagen, denn man hat ja keine Hand. Man hat ja nicht nur keine Hand, man hat auch keinen Körper, und mal unter uns Klosterschwestern: Ohne Körper ist das Leben deutlich weniger attraktiv.

Es geht aber noch schlimmer. Im Vergleich zu einem anderen Kopf haben es die von Lassalle, Grabbe und Schumann noch echt gut. Sie können den ganzen Tag in einen Park schauen, sich posthum nochmal erholen von ihres Lebens Last. Wie viel schlechter hat es da Kouros.

Dessen Kopf ruht unter der geschwungenen Schnellstraßenbrücke, die vom Kennedydamm kommend in die Danziger Straße führt. Dort hat man den altgriechischen Jüngling, der früher die Völklinger Straße anschauen durfte, verlegt, und nun fristet er dort direkt unter dem Brückenbeton sein körperloses Dasein, während einen Meter über ihm Autos Richtung Flughafen donnern. Schaut Kouros nach rechts sieht er eine vielbefahrene Straße, schaut er nach links, sieht er, genau, auch eine vielbefahrene Straße.

Viel grausamer dünkt mir indes, dass man den Kopf des armen Kerls den ganzen Tag quält mit dem Anblick seines Torsos, also mit dem Körper, den er nicht mehr hat. Der steht hundert Meter weiter jenseits des wuselnden Verkehrs vor einem Bürohaus und wirkt – irgendwie kopflos. Wer denkt sich solche Grausamkeiten aus? Ist das nicht ein Fall für den Denkmalschutz? Jede Taube hat in dieser Stadt eine Lobby, aber für Kouros interessiert sich keiner. So etwas fällt doch normalerweise unter die Genfer Konvention, oder?

Um es mal deutlich zu sagen. Wenn ich mal nicht mehr bin und irgendwer meint, meiner gedenken zu müssen, dann verfüge ich hiermit: Ich möchte keine körperlose Büste werden. Wenn schon Skulptur, dann eine von meinem ganzen Körper in all seiner sinnlosen Ausdehnung in unnütze Richtungen.

Natürlich wird niemand zu meinen Ehren eine Skulptur aufstellen wollen. So etwas bleibt natürlich ganz großen Dichtern und Denkern vorbehalten. Aber denen seien diese Zeilen Hilfestellung und Appell. Kümmert euch zu Lebzeiten um euer Gedenken. Sonst seid ihr dereinst nur noch ein Teigkloß auf Beton und müsst als Taubenklo herhalten.
Dann könnt ihr ganz schön froh sein, wenn irgendwer daherkommt und euch bei usseligem Wetter wenigstens ein Mützchen überstreift.