Der tote Winkel Im toten Winkel – hier lauern die Gefahren
Düsseldorf · Im Mai 2018 wurde ein siebenjähriger Junge in Köln von einem Müllwagen angefahren und tödlich verletzt. Der Schüler geriet beim Abbiegen unter einen Lkw, weil der Fahrer ihn nicht gesehen hatte. In Düsseldorf klettern Viertklässler beim Radfahrtraining nun selbst in den Laster, um den toten Winkel zu begreifen.
„Ich sehe niemanden“, stellt Ehsan Neko auf dem Fahrersitz eines Lkw überrascht fest. Dabei sind seine Klassenkameraden keine zwei Meter entfernt. Sie stehen auf einer grünen Plane unterhalb des Führerhauses – dem toten Winkel. „Ich dachte erst, ich mache etwas falsch, weil ich sie nicht sehen konnte“, sagt der 11-jährige. „Erst als sie etwas nach hinten gegangen sind, konnte ich die anderen sehen.“
Die Viertklässler der Gemeinschaftsgrundschule Vennhauser Allee lernen im Zuge der Radfahrprüfung die Gefahren des toten Winkels ganz praktisch kennen.
„Wir haben das Thema bereits im Unterricht behandelt“, sagt die Klassenlehrerin Elke Radtke. Um zu erfahren, wie „überlebenswichtig“ das Thema ist, haben die Schüler an diesem Vormittag die Gelegenheit, einmal in die Rolle eines Lkw-Fahrers zu schlüpfen. Auf dem Schulhof steht dafür ein blauer Lastwagen des Technischen Hilfswerks, kurz THW, bereit.
Die Viertklässler klettern nacheinander auf den Fahrersitz und probieren aus, wann sie ihre Mitschüler sehen können und wann diese aus dem Blickfeld verschwinden. „Um die Situation zu simulieren, haben wir eine Sitzerhöhung eingebaut, so dass sie die gleiche Perspektive wie ein Erwachsener haben“, sagt Robert Hettrich von der Verkehrswacht.
Zunächst stecken die Schüler mit Pylonen ab, in welchem Bereich sie nicht zu sehen sind. Um noch deutlicher zu machen, wie groß der Bereich ist, in dem sie für einen LKW-Fahrer unsichtbar sind, breiten sie eine dreieckige Plane auf der Beifahrerseite aus. „Dieser Bereich ist besonders gefährlich, denn hier sieht euch der Lkw-Fahrer beim Abbiegen nicht“, sagt Hettrich und sucht mit den Schülern Bereiche, in denen sie gut zu sehen sind.
„Man darf nicht zu nah, aber auch nicht zu weit weg vom LKW stehen“, sagt Luana Potettu. Die Schülerin weiß jetzt, dass sie sicher ist, wenn man den Fahrer im Seitenspiegel des Fahrzeugs erkennen kann. Denn dann kann der sie auch wahrnehmen. „Sehen und gesehen werden, das ist der wichtigste Aspekt im Straßenverkehr“, betont Simon Höhner, Geschäftsführer der Verkehrswacht Düsseldorf. Zur Not müssten die Schüler auf den Gehweg ausweichen, lieber warten und den Lkw vorfahren lassen. „Das hilft mehr, als auf seinem Recht zu bestehen“, sagt Höhner.
Moderne Lkw sind mit Spiegeln ausgestattet, die auch den toten Winkel erfassen. „Deutschland ist aber ein Transitland, in dem 70 Prozent der Laster aus dem Ausland kommen“, sagt Höhner.
In 88 Grundschulen sollen solche Aktionen stattfinden
Auf die habe man keinen Einfluss. Außerdem besitzen längst nicht alle Lkw einen elektronischen Abbiegeassistenten, der bei Gefahr den Fahrer warnt. Und so bleibt als Mittel der Unfallprävention nur, das Bewusstsein der schwächsten Verkehrsteilnehmer zu schärfen.
Ab dem kommenden Schuljahr sollen in Kooperation mit dem THW weitere Aktionen unter dem Motto „Vorsicht! Toter Winkel“ in den 88 Düsseldorfer Grundschulen stattfinden.
„Die Pkw- und Lkw-Fahrer bleiben verantwortlich“, betont Höhner, auch mit Blick auf die immer größer werdenden Sport Utility Vehicles (SUVs). Aber die Schüler sollten wissen, was die Erwachsenen sehen können – und was eben nicht.
„Denn einen Unfall mit Zwillingsreifen überlebt keiner von uns“, sagt Simon Höhner und deutet auf die dicken Reifen des THW-Lkws. Die „Schluppen“ reichen fast allen Viertklässlern bis zur Schulter.