Schwerpunkt Oper Keine Frauen, sondern Künstlerinnen
Düsseldorf · Frauen in Schlüsselpositionen der musikalischen Kulturstätten sind eine Seltenheit. Das Düsseldorfer Opernhaus hat eine Geschäftsführerin und seit dieser Spielzeit auch die Dirigentin Marie Jacquot als Kapellmeisterin.
Die beiden Frauen auf dem Foto, Elena Sancho Pereg und Maria Kataeva, sind Opernsängerinnen. Ob sie schon einmal vom „Paulinischen Gebot“ gehört haben? Hoffentlich nicht. Denn wären die beiden ein paar Jahrhunderte früher geboren, hätte dieses Gebot ihnen das Singen untersagt. Eine womöglich sogar missverstandene Passage aus dem 1. Korintherbrief des Apostels Paulus („Die Frauen sollen in euren Versammlungen schweigen“) wurde in ein Musikverbot für Frauen im christlichen Gottesdienst übersetzt. Vom 3. Jahrhundert bis in die Neuzeit wurde das Musizieren den Frauen im christlichen Kulturraum faktisch ganz grundsätzlich nicht gestattet, vor allem nicht öffentlich. Die hohen Frauenstimmen wurden zwar geschätzt, man ließ ihren Part aber lieber von Kastraten singen. Obwohl die Kastration von Jungen ihrer Singstimme wegen verboten war. Die Aufklärung im 18. Jahrhundert brachte den Frauen und ihrer Rolle in der Gesellschaft zunächst wenig Neues. Aber eine Gruppe Musikerinnen wurde nun immer öfter auf den Bühnen gesehen: Opernsängerinnen. Lange bevor Komponistinnen oder Solistinnen mit ihren Instrumenten durch Talent und Fleiß ins Rampenlicht treten konnten, waren sie es, die endlich die Heldinnen in den Opernstücken selber spielen durften. Mehr noch, es entwickelten sich auch die so genannten Hosenrollen, in denen Frauen Männer mit besonders hohen Heldenstimmen singen durften.
Insofern sind Frauen auf der Opernbühne nichts wirklich Neues. Aber in vielen anderen Bereichen der Kulturszene, auch an der Oper, waren sie lange unterrepräsentiert. Erst seit den 1970er Jahren passiert hier wirklich etwas. Und ja, in den Orchestergräben der Welt sind beruhigend viele Frauen zu finden. Aber schaut man auf die Schlüsselfunktionen, die Konzertmeister, die Dirigenten, die Geschäftsführer, fällt das Ergebnis der Bestandsaufnahme eher ernüchternd aus. „Weil es 2017 ist“ war der Name einer Initiative, die in eben diesem Jahr für Aufsehen sorgte. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte diese ins Leben gerufen und den Runden Tisch zu „Frauen in Kultur und Medien“ mit Bundeskanzlerin Angela Merkel initiiert. „Was Kultur- und Kreativfrauen brauchen, sind bessere Aufstiegschancen, mehr Mitsprache in Gremien und Jurys, faire Bezahlung und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie”, sagte Grütters damals. Dem vorausgegangen war 2016 eine fast 500-seitige Studie des Deutschen Kulturrats, deren Ergebnis so ausfiel, dass Grütters offenbar Handlungsbedarf sah. Während in der Spielzeit 2013/2014 rund 42 Prozent der Sänger weiblich waren, waren es nur 22 Prozent bei den Musikvorständen. Und eigentlich steht diese Zahl sogar für eine positive Entwicklung, denn 1994/1995 waren es nur 13 Prozent. Noch drastischer sind die Zahlen bei den Opernkomponisten, die an deutschen Theatern aufgeführt wurden. 1994 waren von insgesamt 180 aufgeführten Komponisten fünf weiblich, 2013/2014 waren unter insgesamt 291 dann 20 weibliche Komponisten. Nun, was jahrhundertelang in Männerhand war, lässt sich eben nicht mal eben aufholen.
Dirigentin Jacquot fühlt sich wohl in der Männerdomäne
Die Kunst ist mit männlichen Stereotypen besetzt. Genies sind männlich, große Künstler sind es. Genauso in der Musik. Erst 2014 war der finnische Dirigent und Dozent Jorma Panula verbal geohrfeigt worden, weil er behauptet hatte, Frauen könnten keine männliche Musik wie Bruckner und Strawinsky dirigieren, nur weibliche, wie Debussy. Das alte Lied, Frauen sind schwach, Männer sind stark.
Eine, die wissen muss, ob Panulas Behauptung stimmt, ist die in Paris geborene Marie Jacquot. Die Dirigentin von gerade mal 29 Jahren ist schon weit gekommen, hat Gastdirigate an internationalen Konzerthäusern gegeben, war ab 2016 erste Kapellmeisterin und stellvertretende Chefdirigentin am Mainfranken Theater Würzburg und ist seit dieser Spielzeit die Kapellmeisterin an der Düsseldorfer Oper. Der Oper, die in Alexandra Stampler-Brown auch eine Geschäftsführende Direktorin hat. Und Marie Jacquot wird Herrn Panula nicht zustimmen.
Dass sie sich überhaupt entschieden hat, Dirigentin zu werden, liegt an einem ganz besonderen Lehrer, bei dem sie ab einem Alter von etwa 14 Jahren Unterricht hatte. Sie spielte auch Posaune in seinem Orchester. „Er war so nett und inspirierend, dass ich angefangen habe, mich fürs Dirigieren zu interessieren. Hätte er etwas anderes unterrichtet, wäre ich heute wahrscheinlich auch woanders“, sagt Marie Jacquot. Sie ist mit 18 Jahren für ihr Dirigierstudium nach Wien gegangen, spricht seit dem fast perfektes Deutsch mit charmantem Akzent. „Meinem Lehrer war es völlig egal, dass ich ein Mädchen bin. Und es war auch sonst nie wieder ein Thema in meiner Laufbahn. Ich hatte das Glück, immer auf Menschen zu treffen, die mich nicht als Frau sondern als Künstlerin gesehen haben.“
Trotzdem: In ihrer Klasse an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien waren unter 50 Studierenden etwa fünf Frauen. Postgradual, beim Konzertexamen, zählte die Klasse 15 Studierende und zwei Frauen. „Andererseits wird unterdessen viel Werbung dafür gemacht, dass Frauen Dirigentinnen werden sollen. Dabei muss es aber immer nach Können gehen, nicht nach Quote. Ich glaube schon, dass es Berufe gibt, für die sich derzeit noch mehr Männer interessieren als andersherum. Aber das sagt nichts über die Qualifikation von den Frauen aus, die in einer bestehenden Männerdomäne Fuß fassen wollen.“
Und das Dirigieren ist eine Männerdomäne. Mehr noch, es erfordert vermeintlich männliche Attribute wie Durchsetzungskraft und Autorität. „Natürlich ist es nicht für jeden Menschen etwas, ein Orchester zu leiten. Man muss sich behaupten, Kritik üben. Wenn wir aber endlich aufhören könnten, zu bezweifeln, dass Frauen das auch können, wäre ich sehr erleichtert.“ Vielleicht gebe es unterm Strich mehr Männer, die sich gerne durchsetzen und behaupten, und vielleicht sei das der Grund, warum es wohl nie ein 50:50-Verhältnis in den Dirigierklassen der Welt geben würde. Das sei auch der einzige akzeptable Grund. „Aber das Bild des Dirigenten verändert sich zur Zeit auch. Es geht nicht mehr um den vergötterten Alleinherrscher am Pult, es geht auch um Einfühlungsvermögen und Intuition“, sagt Jacquot.
Die einzigen, die Marie Jacquot auf ihrem bisherigen Weg weniger wohlwollend gegenüberstanden, waren ironischerweise Frauen. „Es gab zwei ältere Konzertmeisterinnen, so um die 55, 60 Jahre alt, die mir ein sehr seltsames Gefühl gegeben haben, die waren gegen mich. Aber am Ende hatte ich sogar Verständnis für sie. Die beiden kamen aus einer ganz anderen Generation, sie hatten es viel schwerer, sich an ihre Positionen zu kämpfen. Also habe ich versucht, mich in die Frauen hineinzuversetzen, und damit war die Lösung des Problems dann nicht mehr weit.“ Ob ein männlicher Kollege dazu im Stande gewesen wäre? Sicher, denn alles andere wären auch nur Klischees.