Neurobiologie Düsseldorfer will gelähmte Menschen heilen
Seine Arbeit brachte Hans Werner Müller einen Anruf von Sergio Canavero ein, der 2017 einen Kopf transplantieren will.
Düsseldorf. Der Düsseldorfer Neurobiologe Hans Werner Müller bekommt viele Anrufe in seinem Büro in der MNR-Klinik der Uni. Von anderen Wissenschaftlern. Immer wieder auch von querschnittgelähmten Menschen, die wissen wollen, ob er endlich den entscheidenden Durchbruch für ihre Heilung erzielt hat. Und dann rief Sergio Canavero an. Jener italienische Neurochirurg, der angeblich im kommenden Jahr als erster Arzt weltweit einen menschlichen Kopf transplantieren will.
Müller forscht seit vielen Jahren nach einer Methode, wie das Zentrale Nervensystem sich nach einer schweren Rückenmarksverletzung wieder erholen kann. Damit gelähmte Patienten wieder laufen können. „Das wird weltweit intensiv beforscht“, erklärt der Düsseldorfer Wissenschaftler. „Man möchte die Querschnittlähmung irgendwann heilen können. Es ist ja ein Problem, mit dem die Menschheit sich schon lange herumschlägt.“
Und es ist offensichtlich, was den Italiener Canavero an Hans Werner Müllers Forschung interessiert, plant er doch, mit Absicht das Rückenmark eines Patienten zu durchtrennen, um dessen Kopf abzunehmen und auf einen fremden Körper zu setzen. Und mit dessen Nervenbahnen sollen sich die des Patienten dann verbinden. „Er sucht weltweit unter seriösen Wissenschaftlern Mitstreiter für dieses zweifelhafte Projekt — das hat er auch bei mir getan“, sagt Müller. „Aber ich habe das abgelehnt. Ich werde ihn nicht beraten.“
Das liegt an ethischen Problemen, auf die Canavero überhaupt nicht eingeht. Aber vor allem auch daran, dass er das Vorhaben schlichtweg für nicht durchführbar hält. „Wir bekommen bisher ja nicht einmal die Regeneration des Rückenmarks hin.“ Allerdings hat seine Düsseldorfer Forschergruppe zwei interessante Ansätze. Bei chronischen Verletzungen haben die Wissenschaftler das vernarbte Gewebe im Rückenmark entfernt, den Hohlraum dann mit Polyethylenglycol (PEG) aufgefüllt — einer Art Gel, das auch in Sonnencreme oder der Hülle von Tabletten verwendet wird. Bei Ratten beobachteten Müller und sein Team, wie in diesen Gel-gefüllten Hohlraum Zellen einwanderten, Nervenstränge hinein- und auf der anderen Seite auch wieder hinauswuchsen. Die Nager konnten ihre Hinterbeine plötzlich wieder teilweise bewegen. Müller: „Das war schon erstaunlich.“
Bei frischen Verletzungen hatten die Forscher Erfolg mit einer mechanischen Methode: Die getrennten Rückenmarkstümpfe wurden durch einen so genannten Mikro-Konnektor verbunden, indem die getrennten Nervenstränge per leichtem Vakuum angesaugt wurden. Auch das regte sie offensichtlich zum Wachstum an, die Bewegungsfähigkeit der Versuchstiere verbesserte sich deutlich. Beide Versuche, so ist Müller sicher, hätten gezeigt: „Wir müssen den Nerven die Umgebung bieten, die sie zum Wachsen brauchen. Dann tun sie das auch.“
Trotzdem bleibt der Düsseldorfer Professor vorsichtig optimistisch: „Wir stecken nicht mehr in den Kinderschuhen. Aber wir haben auch noch nicht den Durchbruch.“ Jetzt gehe es vor allem darum, zu sehen, wie man die unterschiedlichen Methoden kombinieren kann, um eine echte Heilung des Rückenmarks zu erreichen. Das Problem: An jedem Tag werden weltweit derzeit über 20 Studien zu diesem Thema publiziert — insgesamt um die 150 000 gibt es schon. „Niemand wird behaupten, dass er die alle kennt.“ Deshalb hat er als wissenschaftlicher Gründer mit seinen Mitstreitern das Center for Neuronal Regeneration (CNR e.V.) in Düsseldorf ins Leben gerufen, das in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe des Informatikers Professor Philipp Cimiano von der Uni Bielefeld eine Datenbank mit allem Wissen über die Erholung des Zentralen Nervensystems aufbaut. So soll der Wust an Informationen brauchbar gemacht werden. „Das Datenbankprojekt läuft schon und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert“, erklärt Müller. Und sei mögliches Modell für andere Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer oder den Schlaganfall.
Was Hans Werner Müller schildert, zeigt, wie weit die Forschung ist — und wie weit entfernt dennoch von einem Vorhaben wie Canaveros Kopftransplantation. Und: „Selbst wenn man es könnte, erhebt sich die Frage, ob man es sollte“, sagt Müller. Er erinnert sich an die Schilderung seines Freundes, des amerikanischen Wissenschaftlers Jerry Silver, der in den 70ern in einem Labor einen abgetrennten Affenkopf zu Gesicht bekam. Unten hingen die Schläuche heraus, die das Gehirn am Leben hielten. Das Tier sei Silver mit den Augen gefolgt. Voller Schmerz. Nicht lange danach starb es. „Solche Experimente würden hier in Düsseldorf nie durchgeführt“, stellt Müller klar. Kranken Menschen Linderung oder sogar Heilung bringen — ja. Aber Gott spielen um einen unbekannten Preis — davon will der Düsseldorfer Neurobiologe kein Teil sein.