Düsseldorfer Zahnärztin warnt „Viele Praxen werden diese Krise nicht überleben“

Düsseldorf · Auch die Zahnärzte leiden unter der Krise. Viele Patienten wollen sich derzeit nicht behandeln lassen. Dabei sagt Annabelle Dalhoff-Jene aus Rath, dass es kaum einen Ort gibt, der so sicher ist wie eine Praxis. Geht es aber so weiter, stünden viele vor dem Aus.

Annabelle Dalhoff-Jene hat vor knapp einem Jahr die Zahnarztpraxis ihres Vaters übernommen. Schon ihr Opa war Zahnarzt.

Foto: Ines Arnold

Knapp ein Jahr ist es her, dass sich Dr. Jörg Dalhoff nach 40 Jahren als Zahnarzt im Stadtteil Rath in den Ruhestand verabschiedete und seiner Tochter Annabelle die Praxis überließ. Und doch scheint die Zeit an der Westfalenstraße 20 stehen geblieben zu sein: Die Fotografien des Vaters von steilen Küsten, ruhigen Gewässern und grasenden Schafherden in Neuseeland schmücken die Wände des Wartezimmers mit Retro-Charme.

Die Stühle sind leer, sogar das Spielzeug wurde aus der Kinder-Ecke geräumt. Aus dem Behandlungszimmer sind schleifende Geräusche zu hören. Annabelle Dalhoff-Jene behandelt ihre siebte Patientin an diesem Morgen. Drei sind nicht erschienen. Eine gute Quote, wie sie wenig später sagt. „Langsam, ganz langsam kommen wieder mehr Patienten. Aber wir sind noch lange nicht da, wo wir wieder hinmüssen“, fügt sie hinzu.

Viele Praxen blieben leer, nicht alle Patienten sagten ab

Mitte März, als Schulen und Kitas, Geschäfte und Restaurants geschlossen waren, da sei jeder zweite Patient nicht zum Termin erschienen. Viele Praxen in Gebieten mit vielen Firmen und Büros blieben ganz leer, weil die Mitarbeiter dort Home-Office machten. Die meisten Patienten sagten nicht einmal ab. „Sie dachten, wir behandeln nicht.“

Mit ihrem sechsköpfigen Team ging die 37-Jährige in die Offensive und rief die Patienten an. „Wir haben ihnen erklärt, dass sie in unserer Zahnarztpraxis sicher sind. Weil wir wie alle Zahnarztpraxen immer schon unter höchsten Hygienestandards arbeiten und die sogar noch einmal erhöht haben.“ Nur Patienten mit Anmeldung und Termin dürfen die Praxis betreten. Und nur Patienten, die im Vorfeld den Covid19-Amnamnese-Bogen beantwortet haben. „Es gibt kaum einen anderen Berufsstand, der nach jedem Patienten routinemäßig Flächendesinfektion nutzt, konsequent Händedesinfektion einsetzt, mit Handschuhen, Schutzbrille und Mund-Nasen-Schutz behandelt und gegenüber Infektionskrankheiten so gut aufgestellt ist wie wir Zahnärzte. Wir verbringen unser ganzes Berufsleben hinter einer Schutzmaske.“

Die Verunsicherung sei verständlich, aber unbegründet

Für die Verunsicherung der Patienten hat Dalhoff-Jene Verständnis. „Sie ist aber unbegründet.“ Sie weiß: Der Besuch beim Zahnarzt sei schon unter normalen Umständen für viele eine herausfordernde Situation. „Aber gerade jetzt sind die Vorsorgeuntersuchungen besonders wichtig“, sagt sie. Denn: Eine gesunde Mundhöhle sei eine gute Immunbarriere, gerade in einer Pandämie. „Beim Zahnarzt geht es nicht nur um Karies oder Parodontose, es finde auch eine regelmäßige Krebsvorsorge statt. Wenn die Termine verschoben werden und Erkrankungen zu spät erkannt werden, wäre das fatal.“

Nicht selten werde eine Behandlung beim Zahnarzt mit der beim Gynäkologen verglichen. „Beides ist ähnlich intim“, sagt sie. Und beides habe mit Vertrauen zu tun. Die Mutter eines vierjährigen Sohnes ist gerne die Familien-Zahnärztin im Stadtteil. Eine, die mehr von ihren Patienten mitbekommt als ihre Zahn- und Mundgesundheit. Die weiß, wo die Familie im Urlaub war, ob der Vater den Job verloren, die Tochter eingeschult oder die Oma im Krankenhaus liegt. So war es schon bei ihrem Vater, der sich seit seiner Praxisgründung 1979 einen großen Patientenstamm in Rath und Umgebung aufbaute. 2014 stieg Annabelle Dalhoff-Jene an der Westfalenstraße mit ein, seit Juli 2019 stemmt sie die Praxis allein.

Dass sie eine etablierte Praxis übernehmen konnte, stelle sich gerade jetzt in der Corona-Krise als großes Glück heraus. „Vielen jungen Kollegen, die eine Praxis gegründet haben, geht es ganz anders. Viele wissen nicht, wie sie ihre Kredite tilgen, wie sie Miete, Nebenkosten und Gehälter weiter zahlen sollen, wenn gleichzeitig Patienten ausbleiben und die Kosten für den Hygieneschutz massiv steigen“, sagt sie. Desinfektionsmittel sei deutlich teurer, ein Mund-Nasen-Schutz beispielsweise habe im Januar noch zehn Cent gekostet, mittlerweile das Zehnfache. Das Bild vom reichen, Golf spielenden Zahnarzt bestehe immer noch in zahlreichen Köpfen. „Dabei ist es 30 Jahre her, dass dieses Bild vielleicht mal der Realität entsprach.“

Bisher kam Dalhoff-Jene um Kurzarbeit herum

Die Ärztin ist sich sicher: Viele Arztpraxen werden das nicht überleben. „Junge Zahnärzte, die sich aus dem Angestelltenverhältnis heraus niederlassen wollten, werden das nun sicher nicht tun. Ältere Kollegen werden ihre Praxis frühzeitig schließen“, meint sie. Damit drohe der bisher so gewohnten wohnortnahen ambulanten Versorgung, der Infrastruktur qualifizierter Praxen das Aus.

Bisher musste Annabelle Dalhoff-Jene ihre sechs Angestellten nicht in Kurzarbeit schicken. „Der überwiegende Teil der Kollegen musste das aber schweren Herzens tun. Und auch ich kann nicht in die Zukunft schauen, vielleicht kommt das noch auf uns zu“, sagt sie. Einer Umfrage zufolge seien aktuell immer noch 44 Prozent der Patienten verunsichert, ob sie Arzttermine wahrnehmen sollten. „Außerdem sind die meisten Menschen gerade durch die Lockerungen auf dem Freizeittrip, sie wollen ihre neu gewonnene Freiheit genießen. Vorsorgeuntersuchungen stehen da nicht auf der To-do-Liste. Obwohl sie das sollten.“

Erst gestern hat eine junge Frau in der Praxis eine Brücke angepasst bekommen. „Kein Patient möchte den zahnmedizinischen Notfall, wenn er gerade in Quarantäne ist. Vorsorgetermine sollten deshalb wahrgenommen werden, damit es gar nicht erst dazu kommt. Auch oder gerade jetzt in der Corona-Krise.“