Digitaler Prozess in Düsseldorf Verhandelt wird per Videokonferenz - das Landgericht betritt Neuland

Düsseldorf · Der Richter sitzt in Düsseldorf, die Anwälte sind aus Berlin und Frankfurt zugeschaltet.

Richter Hartwig Ollerdißen blickt in die Kamera. Auf dem in den Zuschauerraum gerichteten Bildschirm sind er und die streitenden Anwälte zu sehen.

Foto: dpa/Marcel Kusch

Wenn der Richter den Saal betritt, dann stehen die Prozessbeteiligten und ihre Anwälte auf. Normalerweise. Nicht so aber am Mittwoch bei einer ganz besonderen Premiere am Landgericht Düsseldorf. Da sitzen die je zwei Anwälte der beiden streitenden Parteien in ihren Anwaltsbüros. Die einen in Berlin, die anderen in Frankfurt. Zugeschaltet per Videokonferenz. Richter Hartwig Ollerdißen führt den Prozess, indem er in eine kleine Kamera spricht. Neben dem Richtertisch steht ein großer Bildschirm, gerichtet in den Zuschauerraum, so dass auch die Öffentlichkeit dem Geschehen folgen kann.

Bizarrer Fall zur Premiere: Unzulässige Matratzenwerbung?

Der Bildschirm ist dreigeteilt, links unten ist der Richter zu sehen, darüber auf der rechten Bildschirmhälfte die beiden Frankfurter Juristen vor einer schmucklosen Wand. Ihre Berliner Kollegen sitzen an einem leidlich aufgeräumten Schreibtisch, im Hintergrund ist eine Bücherwand mit juristischer Literatur auszumachen.

Immer wieder blättern die Anwälte und der Richter in der Akte zu einem absurd anmutenden Rechtsfall: Da streiten sich zwei Matratzenhersteller darüber, welche möglicherweise unzulässige Werbeaussagen der eine oder der andere in Richtung Verbraucher herausposaunt. Sie werfen sich gegenseitig vor, ihre Matratzen „mit irreführenden Angaben unlauter zu bewerben“, wie es Gerichtssprecherin Elisabeth Stöve ins korrekte Juristendeutsch bringt.

Darf der eine sagen, dass es sich bei seinem Produkt um „Deutschlands meistverkaufte Matratze“ handelt? Ist der Satz „Bester Liegekomfort für alle Körperformen“ wettbewerbsrechtlich okay? Der Konkurrent steht der anderen Seite in punkto Großmäuligkeit in keiner Weise nach. Prahlt, dass „keine Matratze je besser im Test“ war als die aus dem eigenen Hause. Der Streit wirkt umso komischer, als sich die Anwälte in ernsthaft wirkender Abneigung via Bildschirm in die Haare geraten. Einer der Frankfurter Anwälte grollt seinem Berliner Kollegen, weil dieser ihn unterbricht: „Wir haben uns doch im Testlauf darauf geeinigt, uns ausreden zu lassen. Sie wissen, sonst fange ich meinen Gedanken wieder von vorn an.“ Um nicht noch einmal die Argumentationskette des anderen aushalten zu müssen, beißt sich der Berliner Anwalt sofort auf die Lippen. Richter Ollerdißen schmunzelt zufrieden. Ab und an spricht er etwas in sein Diktiergerät. Ja, auch diese alte Technik gibt es noch beim Landgericht. Einmal horcht der Richter verwundert auf, als ein lautes „Pling“ im Lautsprecher zu vernehmen ist. Das sei eine auf seinem Computer eingehende Email gewesen, klärt ihn einer der Anwälte auf.

Signale laufen über eine gesonderte Datenleitung

In einem Strafprozess, in dem Angeklagte und Zeugen vernommen werden und auch ihr Aussageverhalten im Gerichtssaal eine Rolle für die Beurteilung spielt, wäre ein solcher Videoprozess nicht möglich. Im Zivilprozess – um einen solchen handelt es sich bei einer wettbewerbsrechtlichen Streitigkeit – können hingegen die juristischen Argumente durchaus per Videoschalte ausgetauscht werden. Den Beteiligten beziehungsweise ihren Anwälten bleiben lange Reisen, wie hier aus Berlin und Frankfurt, erspart. Möglich ist ein solcher Videoprozess schon seit ein paar Jahren, die Coronakrise verhilft dem seit 2013 geltenden § 128 a Zivilprozessordnung nun aber beschleunigt zur praktischen Umsetzung.

Gerichtssprecherin Elisabeth Stöve erklärt: „Das Gericht nutzt eine multipointfähige Videokonferenzanlage mit einer festen IP-Adresse. Die Rechtsanwälte wählen sich in die gesonderte Datenleitung des Landgerichts mittels ihrer eigenen Videokonferenzanlagen ein.“ Diese Technik sei wegen der gesonderten Datenleitung des Gerichts besonders datensicher. Es werde keine übliche Videosoftware genutzt.

Schon am Dienstag hatte es am Landgericht eine mündliche Verhandlung mittels Videotechnik gegeben. Allerdings war darüber nur einer der Anwälte zugeschaltet, während der andere Rechtsanwalt im Gerichtssaal saß. Der Matratzenfall war nun der erste Prozess, in dem beide Seiten „von draußen“ zugeschaltet waren.

Wie der Fall ausgeht, ist übrigens noch offen, aber außer den Streitenden interessiert das wohl auch kaum jemanden. Am Mittwoch hätte es jedenfalls gut getan, in einer Verhandlungspause auf dem Bildschirm statt der verdrießlich wirkenden Matratzenanwälte einen alten Sketch von Loriot zu Thema Bettenkauf zu zeigen. Da will ein älteres Paar ein Bett erwerben, der Verkäufer eröffnet das Gespräch: „Haben Sie an eine Schlaf-Sitz-Garnitur gedacht mit versenkbaren Rückenpolstern, eine Couch-Dreh-Kombination oder das klassische Horizontal-Ensemble?“ Worauf der Kunde, Loriot natürlich, verwirrt erwidert: „Wir schlafen im Liegen.“ Was den Verkäufer zur nächsten Frage bringt: „Sie ruhen nebeneinander oder rechtwinklig?“…. Ach, das ist doch noch schöner als juristische Spielgelfechterei.