Ermittlungen in Lügde Gab es schon 2002 Hinweise auf Kindesmissbrauch auf Campingplatz?
Düsseldorf · Innenminister Reul berichtet in einer Sondersitzung des Innenausschusses zu den Ermittlungen in Lügde. Es gibt einen weiteren Beschuldigten, gegen 14 Personen in Behörden wird ermittelt. Sonderermittler sprechen von „schweren handwerklichen Fehlern“ bei den Untersuchungen der Polizei Lippe.
Der Missbrauchsfall von Lügde und der Skandal um die fehlerhaften Ermittlungen zieht immer weitere Kreise. Wie Innenminister Herbert Reul (CDU) berichtete am Dienstag in einer Sondersitzung des Innenausschusses im Landtag, dass inzwischen bei der Polizei ein Aktenvermerk schon von 2008 aufgetaucht sei, in dem von Hinweisen auf einen sexuellen Missbrauch durch den jetzigen Hauptbeschuldigten die Rede sei. Diese seien aber wohl „nicht an die Staatsanwaltschaft Detmold übergeben“ worden. Zudem sei der Name des Mannes in einer Exceltabelle sogar von 2002 mit einer Aufstellung von Sexualstraftaten aufgeführt, auch damals soll er ein Mädchen missbraucht haben. Diese Erkenntnisse seien aber „ganz frisch“, erklärte Reul im Landtag. Wie sie zu bewerten seien, könne er noch nicht sagen.
Reul berichtete zudem, wie die Ermittlungen auf der Suche nach den verschwundenen Asservaten laufen. Die Schilderungen des Sonderermittlers sorgten für andauerndes Kopfschütteln im Saal. Demnach habe am 13. Dezember ein Kommissaranwärter die 155 Datenträger aus dem Asservatenraum geholt, um diese zu sichten - durch wen er beauftragt wurde, sei nicht mehr zu klären. In nur fünf Stunden habe der junge Polizist das umfangreiche Datenmaterial gesichtet, das sei „äußerst sportlich“.
Die Asservate seien danach in dem Büro stehen geblieben und seither höchstens einmal gesehen worden. „Die Asservate sind in einem Zeitraum von 40 Tagen verschwunden“, betonte der Ermittler. Sie seien bislang nicht wieder aufgetaucht - ohnehin hätten sie gerichtlich wohl keinen Bestand mehr, weil sie mittlerweile manipuliert worden sein könnten. Er sieht „schwere handwerkliche Fehler, die sich potenziert haben“.
Inzwischen gebe es einen weiteren Beschuldigten: einen 16-Jährigen, gegen den wegen dem Besitz kinderpornografischer Schriften ermittelt wird. Es gibt auch neues mögliches Beweismaterial: Die Sonderkommission, die Reul eingesetzt hat, hat bei neuen Durchsuchungen auf dem Campingplatz weitere Asservate gefunden, die bei den Maßnahmen durch die Polizei Lippe nicht sichergestellt worden waren. Das sei „für mich unerträglich“, so der Sonderermittler. Gegen insgesamt 14 Behördenvertreter wird inzwischen ermittelt: darunter zwei Polizeibeamte, acht Mitarbeiter des Jugendamtes sowie vier Vertreter anderer Organisationen.
Neue Technik im Kampf gegen Sexualstraftaten und Kinderpornografie
Reul betonte, es habe von der Polizei in Lippe zu keinem Zeitpunkt eine Überlastungsanzeige erhalten - und reagierte damit auf Vorwürfe, die Behörde sei personell für die Ermittlungen gar nicht aufgestellt gewesen. „Wenn ich die Tür eines Asservatenraums offen stehen lasse, hat das nichts mit Personalmangel zu tun“, verdeutlichte er. Man habe die Führung der Kreispolizeibehörde neu aufgestellt. Aber das sei nur eine Maßnahme, um eine bessere Arbeit bei Ermittlungen in Missbrauchsfällen sicherzustellen.
Am Mittwoch kommen im LKA alle Kripo-Chefs aus NRW zusammen, um über die Qualitätssicherung im Umgang mit Asservaten und in der Sachbearbeitung zu beraten. Zudem werde im Innenministerium eine Stabsstelle Kindesmissbrauch eingerichtet, die eng mit der bereits im November eingerichteten Landesarbeitsgemeinschaft Kindesmissbrauch verzahnt werde - diese stehe kurz vor ihrem ersten Lagebericht.
Zudem kündigte Reul für den Haushalt 2020 ein Investitionsprogramm „Kampf gegen Kindesmissbrauch“ im zweistelligen Millionenbereich an, um für mehr Fachpersonal und neue Technik im Kampf gegen Sexualstraftaten und Kinderpornografie zu sorgen - und warb dafür um die Unterstützung des Landtags. „Das ist jetzt Chefsache!“, sagte er zum Kampf gegen Missbrauch in NRW. Für alles, was in Lügde im Polizeiskandal geschehen sei, übernehme er die politische Verantwortung. Ausdrücklich entschuldigte er sich bei den Opfern und den Angehörigen: „Dieses Leid soll mein Ansporn sein.“