Gerresheimer Pastor Karl-Heinz Sülzenfuß - Gottes Bodenpersonal im Stress
Ein ganz normaler Tag im Advent mit dem Gerresheimer Pastor Karl-Heinz Sülzenfuß.
Düsseldorf. An diesem Dienstagmorgen vor Weihnachten lauschen 30 Gottesdienstbesucher den Worten von Pfarrer Karl-Heinz Sülzenfuß in der Gerresheimer Basilika St. Margareta. „Gott kann uns nicht vor dem Leben bewahren, aber er begleitet uns hindurch“, predigt der 64-Jährige um kurz nach 9 Uhr. Er weiß, wovon er spricht. Das reale Leben hat längst auch den Beruf des Pfarrers eingeholt. Sülzenfuß und seine 14 Priesterkollegen sind — umgerechnet auf Düsseldorfs 200 000 Katholiken — Hirten von je 13 000 Schafen. Sülzenfuß ist als leitender Pfarrer der fusionierten Gemeinde Düsseldorf-Ost zuständig für sieben Kirchen, eine Kita und ein Altenheim — mit insgesamt 180 Mitarbeitern. Er ist ein Manager. Den gemütlichen Gemeindevater gibt es in der katholischen Kirche aufgrund des Priestermangels längst nicht mehr. Schon gar nicht im Advent.
Dem Gottesdienst folgt eine Visite bei der ökumenischen Sozialberatung, die vor den Festtagen aus allen Nähten platzt. Gegen 10 Uhr stehen Krankenbesuche an. Zwischendurch bespricht der Chef noch Beerdigungstermine und das Liederblatt der Christmette mit dem Sekretariat.
Dann geht es per Auto ins Gerresheimer Krankenhaus. Sülzenfuß, der großväterliche Verbindlichkeit und rheinische Frohnatur in seinem Wesen verbindet, hört die Handy-Mailbox ab. „Das war der Kirchenvorstand. Das Fundament der neuen Kita macht Schwierigkeiten.“ Der Besuch in der Sana-Klinik gilt einer 80-Jährigen. „Sie ist eine quirlige Frau und hat immer in der Gemeinde geholfen. Ich wollte sie vor Weihnachten noch einmal besuchen“, sagt der Pfarrer. Nach einem Verkehrsunfall liegt die Seniorin mit gebrochenen Beinen im Bett.
Ein kurzer Kontrollblick in die Krankenhaus-Kapelle, ein Smalltalk mit der Dame vom Besuchsdienst, dann betritt Sülzenfuß das Krankenzimmer. Die Verletzte bricht beim Anblick des Priesters in Tränen aus. Er wird ihr Mut zusprechen, mit ihr beten. Doch aus einem Besuch werden drei: Sülzenfuß entdeckt zwei weitere Gemeindemitglieder auf der chirurgischen Station. Beim Gang zum Parkplatz blickt der Kirchenmann nachdenklich auf den Schneematsch.
Viel Zeit zum Verarbeiten bleibt aber nicht. In St. Cäcilia in Hubbelrath muss der Geistliche die Krippe inspizieren. „Naja, da sollte der Küster noch mal ran. Den Hirten fehlt noch das Feuer“, sagt der 64-Jährige.
Hirten ohne Feuer kennt Sülzenfuß auch aus dem Priesterkollegium. Durch Gemeindefusionen und Nachwuchsmangel ist die Arbeitsbelastung der Pfarrer immens gestiegen. „Ich beginne um acht mit einem Gebet vor der Ikone in meinem Schlafzimmer und meist endet der Arbeitstag erst gegen 23 Uhr.“ Sülzenfuß kennt Kollegen, die ausgebrannt waren oder sind. „Einer musste mit einer tiefen Depression sogar in eine Klinik“, sagt Sülzenfuß auf dem Weg zurück ins Pfarramt.
Dass psychische Erkrankungen bei Geistlichen auf dem Vormarsch sind, schreibt der evangelische Seelsorger Andreas von Heyl in seinem jetzt erschienenen „Anti-Burnout-Buch für Pfarrerinnen und Pfarrer“. Der Terminkalender eines Topmanagers, viele verschiedene Rollen und große Gemeinden ergeben — gepaart mit Priestermangel und abnehmender Akzeptanz in der Bevölkerung — ein erhöhtes Burn- out-Risiko. Fünf Prozent der Pfarrer beider Konfessionen leiden laut von Heyl an der Krankheit. Evangelische und katholische Kirche betreiben in Bayern eigens Erholungsstätten für Gottes gestresstes Bodenpersonal.
Wenn nicht gerade das Handy klingelt, spricht Sülzenfuß offen über seine Methode, einem Burn- out vorzubeugen: Schweigen. Mindestens einmal im Jahr für ein paar Tage. „In diesen Schweige-Exerzitien hinterfrage ich meinen Glauben und meine Berufung. Ich versuche, einen Draht zu Gott aufzubauen, Ruhe zu finden und Kraft zu schöpfen.“ Im Alltag gelingt das im Gebet oft nicht. „Da rasen einem die Termine wie eine Horde Affen durch den Kopf. Ich musste lernen, mich davon nicht auffressen zu lassen.“ In diesem Jahr hat Sülzenfuß sich zweimal für 14 Tage in die Stille zurückgezogen.
Das Telefon steht nicht still, während Sülzenfuß in seinem Büro reihenweise Spendenquittungen der Weihnachtssammlung unterschreibt. Um 12 Uhr erwartet er ein Paar zum Traugespräch. Für Sülzenfuß eine willkommene einstündige Unterbrechung der Büroarbeit. „Für die Arbeit als Priester schlägt mein Herz, das Management ist nicht so mein Ding.“
Das Pfarrbüro hat deswegen die Stelle eines Kommunikationsmanagers ausgeschrieben. „Ich brauche jemanden, der mir bei der Organisation hilft und den Informationsfluss zu den verschiedenen Gremien garantiert.“
Nach dem Gespräch mit dem Ehepaar ist um 13.30 Uhr Mittagspause. Sülzenfuß lebt nicht alleine. Das Ehepaar Trappen wohnt mit ihm im Pfarrhaus. Angelika Trappen ist seine Haushälterin. Die Drei sind wie eine kleine Familie, kennen sich seit Jahrzehnten. Bis zum Mittag war Sülzenfuß schon Priester, Lebensberater, Seelsorger und Manager, jetzt ist er einfach Freund. Zu Tisch bei Himmel und Ähd kann er einige Sorgen, wie die um die Kranken, mit seinen Mitbewohnern teilen.
Ein Jahr nach der Gemeindefusion im Osten der Stadt sagt Sülzenfuß: „Die Rolle des Pfarrers hat sich sehr verändert. Das hatte ich so nicht erwartet.“ Er müsse jetzt darauf achten, keine der sieben fusionierten Gemeinden zu bevorzugen, Aktionen koordinieren und Machtkämpfe vermeiden. Aber, und das sagt der Gottesmann mit Überzeugung, die Kernarbeit sei immer noch die, wegen der er sich für den Priesterberuf entschieden habe: „Die Gemeinde lebendig halten, Menschen begleiten und ermutigen und lernen, wie sie ticken.“
Dass die Menschen zu Weihnachten anders ticken, hat Sülzenfuß längst verstanden. Wenn sich die Gläubigen zu den 16 Gottesdiensten seiner Gemeinde an Heiligabend zu Tausenden in die Kirchen quetschen, hat ihn das früher wütend gemacht: Wo sind diese Leute den Rest des Jahres? Warum interessieren sie sich nur für das kirchliche Topspiel der Saison, nicht aber für den Liga-Alltag? „Heute freue ich mich einfach über jeden, der kommt.“
Um 15 Uhr leitet Sülzenfuß die Dienstbesprechung mit seinen Kaplanen, Diakonen und Pastoralreferenten. Es geht um seelsorgerische Inhalte und hilfsbedürftige Einzelfälle. Danach trifft er sich mit dem Vorsitzenden der Bürgerstiftung Gerricus, bespricht mit dem Pfarrgemeinderat das Pastoralkonzept der nächsten fünf Jahre und mit dem Kirchenvorstand die Bauprobleme der Kindertagesstätte. Am Abend muss noch die Weihnachtspost erledigt werden. Dann irgendwann ist Feierabend.
Samstag, an Heiligabend, fällt der Stress ab von Pfarrer Sülzenfuß. „An Feiertagen genieße ich die Gottesdienste, vorher ist es stressiger“, sagt er. Am Nachmittag hat er frei, feiert Weihnachten und seinen 65. Geburtstag — ausgerechnet am 24. Dezember. Sülzenfuß macht daraus aber keine große Sache. Die Geburt Jesu ist wichtiger. An das Fest selbst hat er wenig Ansprüche: „Ich brauche Freunde und Familie um mich, mein Zuhause und einen Tannenbaum. Das ist für mich Weihnachten.“