Düsseldorf Großmarkt: „Wir machen Geschäfte per Handschlag“
Die Händler an der Ulmenstraße stehen früh auf und machen gute Geschäfte. Die Frage ist nur, wie lange noch.
Düsseldorf. Wilhelm Andree ist vergnügt. Es ist fünf Uhr morgens und der 80-jährige Gemüsebauer aus Hamm widmet sich einer seiner Lieblingsbeschäftigungen: Er zählt Geld. Sein Büro in der Halle 8 des Düsseldorfer Großmarktes mutet eher wie ein Wohnzimmer an.
Holzfußboden, unzählige gerahmte Fotos hängen an den Wänden, auf dem Tisch steht ein üppiger Strauß frischer Tulpen. „Man kann nicht nur produzieren, man muss auch vermarkten“, sagt der rüstige Senior und lächelt spitzbübisch, während er unablässig und flink die Geldscheine sortiert. Und vermarkten kann Andree noch immer besser und schneller und profitabler als viele andere.
Spitzkohl, Rhabarber, Rotkohl, Weißkohl, Wirsing, alle Sorten Salate und Kräuter: Das und noch mehr baut der Familienbetrieb auf 65 Hektar Rheinvorflutgelände am Aderkirchweg an. „Die Kunden kommen nicht von alleine hierher zum Großmarkt. Wenn mein Sohn Feierabend macht, fange ich an zu arbeiten. Meinetwegen soll das noch 20 Jahre so gehen“ erzählt Andree und lacht laut.
Sein Kollege Konrad Koester ist Chef eines Fruchtgroßhandels mit insgesamt 22 Mitarbeitern und an diesem Morgen weitaus weniger fröhlich. Denn der 53-Jährige macht sich Sorgen um die Zukunft. Um seine eigene und die des Großmarktes an der Ulmenstraße. „Amazon und Google sind die Zukunft. Aber bei den Großen ist der Mensch nur eine Nummer und das Produkt ein Produkt. Hier machen wir mit Herz und Leidenschaft Geschäfte und die Ware steht an erster Stelle“, sagt der gelernte Gemüsebauer beinahe beschwörend.
Mit seinen langen, weißblonden Haaren, dem roten Bart und der Lederjacke sieht er eher aus wie ein Cowboy. Er beliefert Großkantinen, Altenheime und Krankenhäuser. Koester ist ein Netzwerker, der mitansehen muss, wie sich das Geschäft immer wieder und immer mehr verändert.
Also entwickelt er Visionen: „Der Großmarkt der Zukunft hat 24 Stunden geöffnet und ist ein Magnet für alle Lebensmittelfreunde. Wir müssten das Internetgeschäft mit den alten Werten verknüpfen: Respekt, Achtung, Vertrauen, Zuverlässigkeit. Aber derzeit gibt es nicht einmal eine Internetseite“, sagt der stattliche Mann leise und lässt für einen Moment beinahe unmerklich die Schultern hängen.
Auf Werte baut auch Yunis Bidi. Der 45-jährige Türke strahlt, als er stolz erklärt: „Hier machen wir noch Geschäfte per Handschlag.“ Seit 16 Jahren verkauft er unter anderem exotische Früchte, Gemüse, Kräuter, Nüsse und Pilze. Und auch er hat konkrete Vorstellungen vom Großmarkt der Zukunft: „Ein Fitness-Center für die Händler würde angenommen, wir arbeiten schließlich so lange hier. Und eine vernünftige Cafeteria wäre gut.“
Eine Halle weiter steht Roland Tolls zwischen unzähligen Kisten und Paletten und übt Kritik. An den alten Immobilien, an der Stadt. „Hier wurde immer nur Geld rausgezogen und nichts investiert. Wir Händler sind die Leidtragenden“, grantelt der 47-Jährige, der weit mehr als die Hälfte seines Lebens in diesen Hallen Geschäfte macht. Dass die Stadt in Gestalt des Amtes für Verbraucherschutz den Großmarkt verwaltet, kritisieren viele Händler an diesem Morgen.
Zu wenig Innovationsschub, zu wenig Ideen, zu wenig Impulse, zu wenig Wagemut, heißt es. Die Liste der vorgebrachten Klagen ist lang. Und jetzt fordert ausgerechnet die Stadt die so genannte Großmarktgilde, den Zusammenschluss der rund 170 Erzeuger und Händler, zum Mitdenken über die Zukunft des Marktes auf. „Ja, wir dürfen unsere Meinung sagen. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass wir mitbestimmen können“, sagt Tolls.
In Rath werden nicht nur Lebensmittel aus den entlegensten Ecken der Erde angeboten. Auch Blumen und Pflanzen gehören zum Sortiment. Thomas Star spricht schnell: „Blumen für zu Hause kaufen die Leute im Supermarkt. Aber wenn es um Blühendes zum Verschenken geht, gehen sie auf den Markt.“ Der 33-Jährige denkt positiv. „Es wird immer einen Großmarkt geben“, sagt er. Dem will Peter Hecker nicht widersprechen. Aber der Geschäftsführer des gesamten Blumensegments fordert Änderungen.
„Und zwar bei grundsätzlichen Themen. Das Problem ist, dass dieser Markt amtsverwaltet ist. Hier muss Leben rein, denn seit 20 Jahren hat sich nichts getan“, fasst der 61-Jährige zusammen. Auch er fordert eine langfristige Perspektive und kündigt an: „Wir können uns auch vorstellen, die Immobilie selbst zu übernehmen.“
Inzwischen ist es halb neun. Gemüsebauer Wilhelm Andree sitzt noch immer am Schreibtisch. „Arbeit hält jung“, sagt er und ergänzt fröhlich: „Ich will Rekorde brechen!“ Weiter kommt er nicht, denn wieder geht die Tür auf und ein Kunde betritt das Büro. Das Geschäft brummt. Auch deshalb ist der 80-Jährige noch immer vergnügt.