Düsseldorf Immer mehr Unfallfahrer flüchten
Rund 6400 Fälle von Unfallflucht 2015, dieses Jahr noch mehr. Die gelten als Straftat — auch bei Parkremplern. Und die Polizei klärt viele.
Düsseldorf. Es ist ein Ärgernis, das viele Düsseldorfer kennen dürften: Sie kommen zu ihrem geparkten Auto und finden es mit einer Beule an der Stoßstange oder einem Kratzer im Lack dort vor, wo die Tür eines anderen Wagens unachtsam aufgerissen wurde. Für eine erkleckliche Anzahl Autofahrer scheint der Parkplatzrempler ein Kavaliersdelikt zu sein, mit dem sie ohnehin ungeschoren davonkommen. Allein im vergangenen Jahr zählte die Düsseldorfer Polizei 6418 Fälle von Unfallflucht. Tendenz: ständig steigend. „Dieses Jahr liegen wir noch höher“, sagt Frank Kubicki, Leiter der Direktion Verkehr. Aber: Unfallflucht ist auch nach einem kleinen Blechschaden eine Straftat. Und die Aufklärungsquote der Polizei ist vergleichsweise hoch.
Noch 2012 lag die Zahl der Fahrer, die nach einem Zusammenstoß flüchteten unter der 6000-Marke — bei 5879. 2014 waren es dann 6104 Fälle. Das vergangene Jahr markiert somit einen vorläufigen Höhepunkt der unschönen Entwicklung — ein Plus von 5,1 Prozent zum Vorjahr, sogar von 6,7 Prozent zum Mittelwert der drei Vorjahre. Und, so berichtet Kubicki, in diesem Jahr klettert die Zahl nach Stand Ende September noch einmal um ein gutes Prozent.
Ein klares „Täterprofil“ gibt es bei diesem Vergehen nicht. Jeder, so die Polizei, kann zum Täter werden. Das sieht auch Verkehrspsychologe Kai Lenßen so. Ist der Rempler passiert, würden die Kosten und Nutzen des „Sich-Stellens“ manchmal blitzschnell gegeneinander abgewogen. „Hier regiert die Angst vor Repressalien“, so Lenßen. „Je länger der Täter wartet, desto unwahrscheinlicher ist es, dass er sich tatsächlich stellt, da Scham- und Schuldgefühle zunehmen. Zudem steigt die Erwartung, nicht erwischt zu werden.“
Damit allerdings liegt mindestens die Hälfte der Unfallfahrer falsch: Die Aufklärungsquote bei Unfallflucht lag 2015 bei den Unfällen ohne Personenschaden bei 48,8 Prozent — bei den Fällen mit Verletzten sogar bei 63,1 Prozent (zum Vergleich: Bei Wohnungseinbrüchen werden nicht einmal zehn Prozent der Taten geklärt). In den ersten neun Monaten dieses Jahres stieg die Quote sogar auf fast 60 Prozent bei den Unfällen ohne Verunglückte. Das liegt laut Kubicki oft an guten Zeugenhinweisen. Die Düsseldorfer schauten hin, wenn es knallt: „Es ist ein Thema, das jeden tangiert. Fast jeder ist ja selbst Autofahrer“, erklärt er sich das.
Die Polizei betreibt aber auch einigen Ermittlungsaufwand. „Es ist keine Bagatelle — und wird hier auch nicht so gesehen“, stellt der Direktionsleiter klar. „Auch der kleine Parkplatzrempler ist eine Straftat, wenn ich abhaue.“ Wie seine Beamten den Unfallfahrern auf die Schliche kommen, hänge „stark von den Rahmenbedingungen ab“. Mal helfen Kameras von Geschäften im Umfeld. Mal finden die Polizisten Lack- oder Glassplitter. „Dann haben wir gute Chancen“, erklärt Kubicki. „Am schönsten ist, wenn wir einen zerstörten Blinker haben. Da stehen Kennziffern drin.“ So könnten Modell und Baujahr des Unfallwagens rekonstruiert werden. Mit den Infos klappern die Ermittler dann Werkstätten ab.
Laut Kubicki könnte ein Teil der Steigerung bei der Zahl der Unfallfluchten darauf zurückzuführen sein, dass die Opfer auch einen kleinen Rempler eher anzeigen: „Man muss bei den modernen Autos immer damit rechnen, dass der Schaden relativ hoch ist“, erklärt er. Aber die Entwicklung ist in seinen Augen auch ein Symptom der sinkenden Verkehrsmoral. „Unsere Verkehrssysteme sind total überlastet. Da verliert manch einer die Nerven. Keiner will warten. Egoismus spielt eine große Rolle“, so der Experte. Ein weiteres Symptom sei die ständige Ablenkung am Steuer, etwa durch Smartphones. „Wir haben auf den Autobahnen etwa 25 Prozent mehr Unfälle am Stauende als 2015“, so Kubicki — ein mögliches Indiz dafür, dass Fahrer ihre Augen woanders als auf der Straße gehabt hätten.
Auch Psychologe Lenßen glaubt, dass die Unfallflucht ein Teil dieses Gesamtproblems ist: „Der Verkehrsraum wird knapp, die Verkehrsdichte immer höher, die Fahrzeuge sind größer — man eckt also eher an — und die Zeit wird kostbarer.“ Da wolle sich mancher den Stress mit einer Unfallaufnahme ersparen. Dass das teuer werden kann, hat gerade erst Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann zu spüren bekommen: Er zahlte wegen Beihilfe zur Unfallflucht 42 500 Euro. Denn: Geldstrafen für diese Straftat richten sich nach dem Einkommen — je nach Folgen des Unfalls kann es aber auch zu einer Haftstrafe kommen.