Gastkommentar In der Online-Trauerkultur liegt eine Chance
Im Netz begegnen sich Menschen — und sie nehmen Abschied
Wie darf man im Internet trauern? Die Frage lässt sich auch umdrehen: Wie darf man in der Kohlenstoffwelt trauern? Die Gleichung „Internet = virtuell“ und „Offline-Welt = real“ lässt sich nicht mehr aufrechterhalten, für viele Menschen ist das Internet Teil ihrer Lebenswirklichkeit, also sehr real.
Im Netz begegnen sich Menschen — und es nehmen auch Menschen Abschied. Allerdings folgt Online-Kommunikation oft anderen Regeln als Offline-Kommunikation. Auch die Trauerkultur ändert sich, Online- und Offline sind keine Gegensätze mehr, sondern können sich auch ergänzen, QR-Codes auf Grabsteinen auf dem Friedhof führen zu Online-Gedenkseiten.
Neben evangelischen Friedhöfen bietet die evangelische Kirche nun mit gedenkseiten.trauernetz.de auch Online-Gedenkseiten an. Wird in der Gesellschaft und im persönlichen Umfeld der Tod oft mit einem Tabu belegt — man spricht nicht über das Sterben —, so gibt es im Internet oft eine gänzlich andere Gesprächskultur. Darin liegt auch eine Chance.
So schreiben Eltern eines todkranken Kindes, für das sie ein Blog im Internet eingerichtet haben: „Wir haben uns dafür entschieden, offen zu sein. Das hat den Vorteil, dass man uns wahrscheinlich Fragen wie ‘Gibt es Neuigkeiten?’ oder ‘Wie geht’s Euch?’ eher nicht stellt. Das ist für uns einer der möglichen gangbaren Wege, da er uns die Möglichkeit gibt, ein Gespräch zu suchen, ohne es ungewollt finden zu müssen.“
Sie schreiben im Netz über das Sterben ihres Kindes und erhoffen sich so eine Rückzugssphäre in ihrem privaten Leben. Was ist öffentlich, was ist privat? Das Internet verändert uns alle. Was für manche auf den ersten Blick befremdlich erscheinen mag, ist beim zweiten Hinsehen nicht mehr verstörend, sondern berührend. Es gibt sowohl Fotos von Sterbenden und Toten, die eine Intimsphäre verletzten, aber es finden sich auch Blogs (z.B. https://biglewinski.wordpress.com) und YouTube-Videos (z.B. über Zion Isaiah Blick), in denen Eltern vom Sterben ihrer Kinder in solch einer respektvollen Weise erzählen, dass sie das Leben preisen — und in deren Beiträgen eine Hoffnung über den Tod hinaus mitschwingt.
Was Menschenwürde und Respekt im Zeitalter sozialer Netze ist, müssen wir neu lernen, wir brauchen eine Kultur, die mit dem Tod umzugehen weiß.