Theater Hunstein: „Faust ist ein getriebener Extremdenker“
Stefan Hunstein spielt seit 36 Jahren Theater. In Düsseldorf stellt er sich einer seiner größten Aufgaben und wundert sich, dass es so weit ist.
Düsseldorf. Wer mit Stefan Hunstein Schritt halten will, muss sich beeilen. Seinen Gedanken zu folgen, fordert einen beweglichen Geist. Von ihm geht eine Energie aus, die auszuhalten nicht leicht fällt. Der 1957 in Kassel geborene Schauspieler kommt aus der Probe und spricht über das, was ihn umtreibt: der Faust. Er ist ein erfahrener Profi, seit 36 Jahren fest engagiert, 26 Jahre davon in München. Im „King Lear“ stand er in 105 Vorstellungen auf der Bühne. Und jetzt der Faust. Hunstein ist beeindruckt.
„Das ist eine extrem schwierige Rolle“, gibt er zu. Gesehen hat er sie schon oft, gespielt noch nie. Morgens um 7.30 Uhr geistert der groß gewachsene, blonde Mann mit den extrem blauen Augen laut vor sich hin sprechend durch Bilk, wo seine Düsseldorfer Gastwohnung liegt. „Der Text muss in meinen Körper, in mein emotionales Gedächtnis“, beschreibt Hunstein seine Vorbereitung. Auf diesem Weg könne er die Musikalität der Verse erkennen und sie so sprechen, dass sein Faust wie ein Mensch von heute klinge. Wobei Mensch? Hunstein bezeichnet Goethes Figur als einen Maniac, einen der alle mit sich zieht, sogar den Teufel. „Das ist ein getriebener Extremdenker, der nie unter hundert Prozent gibt - total und totalitär.“
Hunstein erzählt schnell. Er beugt sich auf dem Stuhl vor, fährt sich mit den Händen durchs Haar, rezitiert ganze Passagen und kehrt zurück zum Gespräch. Eigentlich hätte alles ganz anders kommen sollen für ihn. Der Schauspieler hatte sich selbst eine Pause verschrieben. Er wollte der Theaterkerkerhaft entfliehen und landet mit diesem Begriff bei Thomas Bernhard, von dem der Titel seines Soloabends stammt: „Die Wörter ruinieren die Gedanken.“ Ja, genau so sei das. Aus dem Stegreif könne er jetzt und hier eine Stunde lang mit diesem oder jenem Text unterhalten. „Das sind tausende, und die sind alle hier drin“, sagt Hunstein und greift sich an den Kopf. Wie ein Speicher funktioniere sein Körper, das sei schon fast ein Fluch.
„Ich wollte eine Pause, um durchzuatmen und um nochmal anders aufs Theater schauen zu können.“ Dann kam Faust. Ein Angebot aus Düsseldorf, dass er nicht abschlagen konnte. Auch aus Eitelkeit, gibt Hunstein zu. „Habe nun, ach!“, sagt er nicht ohne Selbstironie und blickt auf Rollen zurück, die er in den vergangenen Jahrzehnten gespielt hat. „Und jetzt bieten sie mir dieses Theaterschwergewicht an. Das ist ja interessant.“
Für ihn markiert das Zusammentreffen dieser Umstände eine neue Lebensphase. Eine Phase, in der auch das Alleinsein im Gegensatz zum Alltagsbetrieb auf der Bühne eine größere Bedeutung haben soll. Hunstein beginnt, von seiner Fotokunst zu sprechen, von Eisbildern, die er in Grönland und am Nordpol aufgenommen hat. Eine Landschaft, die nur scheinbar unveränderlich ist. Dabei liege sein Fokus nicht auf dem Gezeigten, sondern viel mehr beim Betrachter. Das sei ein Gedanke aus der Romantik. „Der Mensch ist kein selbstverständlicher Teil der Natur. Er kann die Schönheit beschreiben.“ In der Poesie stecke ein Schlüssel, um die eigene Position zu entdecken.
Bei diesem Thema nimmt der Künstler sich Zeit zu erklären, warum seine Bilder nichts mit Reisebildern zu tun haben. „Ich bin kein Fotograf. Mich interessiert der zweite Blick, das davor und dahinter.“ Ihm ist es nicht egal, ob verstanden wird, was er zeigen will. Er sucht nach der richtigen Vermittlung. Wie im Theater. Dafür gibt auch Hunstein offensichtlich hundert Prozent. Läuft auch er Gefahr, von Faust mitgezogen zu werden? Der Profi lacht: „Ich nehme das sportiv.“