Interview „Die Nachhaltigkeits-Debatte hat sich durch Greta verändert“

Düsseldorf · Stefan Schulze-Hausmann vom Deutschen Nachhaltigkeitspreis spricht über die Verleihung am 22. November, über Greta Thunberg und darüber, warum das Menü des Abends ihm ein wenig Bammel macht.

Stefan Schulze-Hausmann, Initiator des Deutschen Nachhaltigkeitpreises, hat ein bisschen Bammel vor der diesjährigen Verleihung. Und das liegt am Menü.

Foto: Florian Jocham

Zum zwölften Mal wird der Nachhaltigkeitspreis am 22. November im Düsseldorfer Maritim-Hotel verliehen. Ein Format, das immer wieder A-Prominenz nach Düsseldorf holt – und vor allem besonderes Engagement für Nachhaltigkeit ehrt. Unter den Preisträgern ist beispielsweise Bundespräsident a. D. Joachim Gauck, Sängerin und früheres Spice-Girl Melanie C wird auftreten. Das Gala-Menü wird zum ersten Mal vegan sein – wie das bei den anspruchsvollen Gästen ankommt, davor hat Initiator Stefan Schulze-Hausmann ein bisschen Angst.

Ist es einfacher geworden, große Namen und Stars für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis zu gewinnen?

Stefan Schulze-Hausmann: Es wird ein wenig einfacher. Man hat schneller eine Antwort, weil man ernster genommen wird mit der Veranstaltung. Was nicht heißt, dass die Antwort automatisch immer positiv ausfällt. Wir bemerken aber, dass die Prominenten unmittelbar gefragt werden. Es wird direkter.

Apropos Prominente: Ehrenpreisträgerin Paula Caballero kennen viele nicht…

Schulze-Hausmann:Sie ist so etwas wie der „stille Star“ des Abends, kaum jemand hat ihren Namen je gehört. Das möchten wir gern ändern. Als „Rio plus 20“ vorbereitet wurde – die UN-Nachfolgekonferenz zum Thema Nachhaltigkeit – waren die Verhandlungen ziemlich festgefahren und die „Millennium Development Goals“ von Kofi Annan hatten an Strahlkraft verloren. Es gab kein Narrativ. Da hat Paula Caballero, damals im kolumbianischen Außenministerium, gesagt: Lasst uns doch Nachhaltigkeitsziele definieren. Das wollte keiner, weil alle Angst hatten vor Messungen, Begrenzungen, Verpflichtungen. Dann hat sie die Idee Land für Land und Stück für Stück durchgesetzt. Paula hat die erste Grundlage gelegt, dass die 17 Welt-Nachhaltigkeitsziele vereinbart werden konnten. Das ist ein großartiger Erfolg. Man sieht das daran, dass jetzt ziemliche viele Politiker behaupten, es wäre ihre Erfindung.

Auch Bundespräsident a. D. Joachim Gauck erhält einen Ehrenpreis.

Schulze-Hausmann: Joachim Gauck hatten wir eingeladen, und es kam eine schriftliche Absage seines Büros. Dann rief er unerwartet an und wollte die Absage eigentlich freundlich erklären. Wir kamen ins Gespräch, weg von der ökologischen Facette der Nachhaltigkeit, hin zu ebenso untrennbar mit dem Begriff verbundenen Themen wie sozialem Frieden, Demokratie und Verantwortung. Wir sprachen über sein neues Buch „Toleranz“, in dem es um brennend aktuelle Fragen geht. Viele davon sind mit dem Mauerfall und der schleppenden Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West verbunden. Unterschiede in der Lebensqualität plus Migrationsthematik ergibt Potenzial für sozialen Unfrieden. Gaucks Lebensthemen sind Freiheit, Verantwortung und Toleranz. Wir sprachen darüber, wie eng diese Werte und Herausforderungen mit Nachhaltigkeit verbunden sind. Er hat sich entschlossen, doch zu kommen.

Wie kamen Sie an Simply-Red-Sänger Hucknall?

Schulze-Hausmann: Mick Hucknall zeichnen zwei Dinge aus: Die lange Arbeit mit den SOS Kinderdörfern, in diesem Jahr wieder Partner des Deutschen Nachhaltigkeitspreises. Und er hat sich für einen Fluss, der in der Nähe seines Wohnortes in Irland liegt, als Umweltschützer betätigt, indem er ihn gekauft und renaturiert hat.

Nach Lord Norman Foster vor einigen Jahren wird wieder ein Architekt ausgezeichnet?

Schulze-Hausmann: Auf Bjarke Ingels bin ich gespannt. Er ist so etwas wie ein Popstar unter den Architekten. Der Däne hat unglaublich interessante nachhaltige Gebäude gebaut, seriös, schlau, aber sexy. Der notwendige Wandel zu ökologisch und sozial sinnvolleren Bauwerken wird leichter akzeptiert, wenn sie attraktiv daherkommen. Die Laudatio hält der Düsseldorfer Star-Architekt Christoph Ingenhoven, einer unserer Preisträger 2018.

Das Thema Klimaschutz war nie so präsent wie jetzt. Dank Greta Thunberg. Sie polarisiert aber auch.

Schulze-Hausmann: Die Nachhaltigkeitsdebatte, die ja mehr ist als Klimaschutz, hat sich durch Greta verändert. Sie hat es fast im Alleingang geschafft, Nachhaltigkeit in der Politik endlich ganz oben auf die Agenda zu bringen. Ein unschätzbarer Verdienst, gut und absolut überfällig. Allerdings kommen wieder mehr Schärfe und harter Protest ins Spiel – und überlagern manchmal die Diskussion um Lösungen. Die Fridays For Future-Kids fordern schnelle Lösungen. Ihr Druck ist berechtigt. Konfrontation allein bringt aber nicht die gewünschten Ergebnisse. Erst Konsens und vor allem neue Arten von Partnerschaften. Es müssen neue Allianzen und Konstrukte gefunden werden, die nicht heißen: Jeder gegen Jeden, sondern Jeder mit Jedem zu einem gemeinsamen Ziel. Noch ist es erreichbar.

Das Wort „Nachhaltigkeit“ hat Einzug in den täglichen Sprachgebrauch gehalten. Als Sie 2008 Premiere feierten, war das noch nicht so.

Schulze-Hausmann: Wir waren unter denen, die daran gearbeitet haben. Aber einen Riesensprung hat Greta geschafft. Mit vollem Respekt muss man sagen, dass dieses Mädchen ein Phänomen ist und ein Phänomen ausgelöst hat, das in dieser Form niemand prognostizieren konnte. Manchmal geht es zu weit. Gretas Rede bei der UN war auch Zeichen dafür, dass das Mädchen durch die ungeheure Aufmerksamkeit an seine emotionalen Grenzen getrieben wird. Wie nach anstrengenden Atlantik-Überquerung mit hunderten Kameras jede Bewegung und jede Regung dokumentiert wird, ist eine Überforderung. Man muss Greta wieder ein bisschen Luft zum Atmen geben.

Greta steht sicher auf Ihrer Liste der Wunschgäste ganz oben?

Schulze-Hausmann: Wir reden seit Januar mit ihrem Team. Aber Greta ist Ende November auf der Weltklimakonferenz.

Unternehmen und Start-ups, die mit neuen Lösungen kommen, etwa auf erneuerbare Energien setzen – auch sie würdigt der Nachhaltigkeitspreis.

Schulze-Hausmann: Wir denken, dass wir es nach wie vor richtig machen, wenn wir die Guten honorieren. Als wir vor zwölf Jahren anfingen, herrschte ein Klima des Bashings, des Protestierens und Beschimpfens. Unternehmen waren damals im Nachhaltigkeitssektor vielfach pauschal die Bösen. Das hat sich in den letzten Jahren verändert. Und jetzt habe ich manchmal das Gefühl, es kommt zurück, teilweise unangemessen. Die Wirtschaft ist Teil des Problems und Teil der Lösung.

Stichwort: Flugscham. Wie steht es da um Sie?

Schulze-Hausmann: Wir hatten von Anfang an eine sehr schlanke Logistik. Wir sind nie viel gereist, aber es geht noch weniger. Wir nutzen immer mehr die Bahn, nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit. Auch weniger Fleisch essen ist mehr als nachhaltig, nämlich auch gesund.

Apropos Essen: Wer wird das Gala-Menü kochen?

Schulze-Hausmann: Holger Stromberg kocht wieder. Erstmals sind Kongress und Preisverleihung komplett vegan. Wir sind kulinarisch beim Thema Israel, allerdings bis auf die Gewürze mit regionalen und saisonalen Produkten. Die Küche dort geht besonders gut mit rein pflanzlichen Zutaten um. Vor unserer veganen Dinner-Premiere habe ich ehrlich gesagt ziemlich Bammel. Das Publikum kommt mit hohen Ansprüchen. Aber wer, wenn nicht wir, soll den Beweis antreten, dass ein wunderbares festliches Dinner auch ohne das Klischee des hochwertigen Filets oder des teuren Fischs auskommt.