Jamal Ridder: Ein Mann mit Helfer-Syndrom
Jamal Ridder schmiss die Karriere im elterlichen Betrieb, um Menschen zu helfen. Es war kein leichter Weg.
Düsseldorf. Es ist knapp 30 Jahre her, dass das Leben von Jamal Ridder eine Wende nahm — und dabei spielen drei Orte eine Rolle, die nur wenige Meter voneinander entfernt in Flingern-Süd liegen.
Eigentlich war Ridders Weg vorbestimmt: Die Eltern hatten damals acht Spar-Supermärkte in der Region. Er macht eine Lehre beim Vater und sollte den Markt auf der Erkrather Straße zwischen Bahnbrücke und Albertstraße übernehmen.
In seiner Jugend hatte der heute 50-Jährige das Leben genossen: „Geld war damals wichtig, Reisen, Skilaufen, später dann ein Auto zu haben.“ In seiner Kindheit hatte er Roger Klüh kennen gelernt, dessen Vater später DEG-Präsident wurde. Damit wurde Ridder auch großer DEG-Fan, besuchte die Heimspiele an der Brehmstraße und erledigte später auch mal Aufgaben für Josef Klüh. Noch genau kann er sich erinnern, wie der Verein dabei war, die Truntschka-Brüder zu verpflichten und sie zum Gespräch anreisten. Josef Klüh war zunächst verhindert, also ging Ridder mit den Eishockeystars ins Prinzinger essen.
Doch die Laufbahn im elterlichen Unternehmen wurde durch die Einberufung unterbrochen. Ridder verweigerte und fing bei der Diakonie auf der Langerstraße 20 als Zivi an. Zunächst fuhr er Essen auf Rädern durch die Stadt, dann kümmerte er sich um alte Menschen: im Wichernhaus und bei Hausbesuchen. Ging einkaufen, putzte die Fenster oder „hielt einfach nur ein Klönchen“, wie er es ausdrückt. „Viele waren einsam, riefen an, weil die Fenster geputzt werden sollten. Kam man an, stand erstmal ein Kaffee auf dem Tisch“, erinnert er sich.
Den Spar-Markt verlor Ridder aber nicht aus den Augen, morgens früh stand er hier für ein, zwei Stunden auf der Matte, abends auch wieder. Trotzdem merkte er, dass er sich verändert hatte. Eines Tages wurde im Laden eine alte Dame erwischt, die einen Blumenkohl eingesteckt hatte. Für Ridders Vater war klar, dass die Frau angezeigt wird, er weigerte sich. „Du bist komisch geworden“, sagte der Vater.
Die Szene war wie ein Schlusspunkt. Schon vorher hatte er gemerkt, dass die soziale Arbeit ihn mehr interessierte. Ein paar Wochen später räumte Ridder sein Zimmer zu Hause, gab den Wagen ab und zog bei einem Zivikollegen in der Langerstraße ein. Sechs Monate lang lebten die beiden Freunde zu zweit in einer 1-Zimmer-Wohnung.
Als die Zivi-Zeit vorbei war, bot das Arbeitsamt keine Hilfe, Ridder habe ja schon eine Ausbildung gemacht, hieß es nur. Dann sah er eine Anzeige: Das Jugendzentrum Oberbilk suchte einen Betreuer in Teilzeit. Bezahlung: 5 Mark die Stunde. Ridder lächelt: „Ich hatte noch ein bisschen was gespart.“
Er stellte sich in Oberbilk vor, der Leiter sagte: „Dein Name passt, aber die werden dich erstmal austesten.“ Ridder bekam es mit einer Gruppe von 13-27-Jährigen zu tun, fast nur Jungs, die meisten mit marokkanischen Eltern. Er war froh, als die vier Wochen Probezeit vorüber waren und wollte sich verabschieden. Doch der Leiter überzeugte ihn, zu bleiben.
Von da hörten die Jungs auf zu provozieren. Ridder übernahm immer mehr Aufgaben, bildete sich fort. Er war jetzt praktisch Erzieher. Es folgten andere Aufgabe, jahrelang arbeitete er mit verhaltensauffälligen Jugendlichen, später mit notorischen Schulverweigerern. Er kann offenbar mit solchen jungen Menschen umgehen, schafft es, dass sie Vertrauen zu ihm gewinnen. Beim Jugendamt nennen ihn manche den „Mann fürs Grobe“.
Auf der Behrenstraße wohnt der 13-jährige Serhat (Name geändert), seit einigen Wochen taucht Ridder dort morgens um 6 Uhr auf, weckt den Jungen, macht ihm Frühstück und liefert ihn in der Schule ab. Nachmittags geht er mit Serhat mal in die Bücherei. Das Wichtigste aber ist: „Der braucht jemanden, der ihn ernst nimmt.“ Parallel baut er das anfängliche Misstrauen der Eltern ihm gegenüber ab.
Ridders alte Wirkungsstätte aus Zivizeiten hat sich unterdessen verändert. Die Diakonie hat einen neuen Platz gebaut — und Ridder ist zurückgekehrt. Auf ehrenamtlicher Basis arbeitet er dort ein paar Stunden die Woche mit alten Leuten.
Für die Arbeit mit den Jugendlichen reichen irgendwann die Nerven nicht mehr, denkt sich Ridder. Stattdessen wird er sich vielleicht in Richtung Seniorenarbeit verändern. Im neuen Wichernhaus ist er schon nicht mehr wegzudenken, macht Ausflüge mit den Leuten, auch einen regelmäßigen Gesprächskreis.
Eine Bewohnerin hat Ridder ins Herz geschlossen, auch wenn die Dame schon dement ist. Sie aß kaum noch, musste künstlich ernährt werden. Mit viel Beharrlichkeit hat er es aber geschafft, dass sie in wenigen Wochen mehrere Kilo zunahm. „Das war mein größtes Erfolgserlebnis der vergangenen Monate.“