Performance Die letzte Schlacht der Kultur
Düsseldorf · „Bilderschlachten“ im Tanzhaus ist ein musikalisch-performativer Reigen, der bis ans Ende der Welt führt.
Was nun im Tanzhaus NRW zu sehen und hören war, ist mehr als bemerkenswert. Denn wie kaum eine andere Performance aus der Riege des zeitgenössischen Tanzes hat „Bilderschlachten / Batailles d’Images“ von Stephanie Thiersch und Brigitta Muntendorf sämtliche Grenzen zwischen darstellenden Künsten transzendiert. Zeitgleich, und das macht einen großen Teil der Faszination des 90-minütigen Spektakels aus, mischt man live von einem stattlichen Orchester (Les Siècles Orchester) und einem Streichquartett (Asasello Quartett) gespielte Musik – versehen mit unzähligen Klangeffekten – mit einer ästhetischen Sprache, die aus dem zeitgenössischen Tanz entlehnt und doch viel mehr ist.
Choreografen aus dieser Sphäre bedienen sich vermehrt Sound aus der Konserve, was bisweilen günstiger und sicherlich auch „berechenbarer“ für die ästhetische Transformation ist, für das „arbeiten mit“ ist. Hier aber entstand durch die Musik ein wahrhaftiger Dialog zwischen Bewegung und Klang, zwischen klanglichen und visuellen Assoziationen.
Bernd Alois Zimmermanns Musik als ästhetischer Katalysator
Das ist grell, ironisch, dabei so düster und satt, und dann doch schlussendlich so schlüssig, als würde sich zum Weltuntergang alles das, was es je gab, in einem brennenden Fokuspunkt zusammenstauchen. Mitten im Atomkern: Bernd Alois Zimmermanns „Musique pour les soupers du Roi Ubu” aus dem Jahr 1968 ist wie ein Albtraum eines Orchestermusikers, der sich vielleicht im fiebrigen Delirium an all die Musik erinnert, die er je gespielt hat – dies aber als Collage aus Bruchstücken, Ideen und deren Dekonstruktion. Schweißgebadet wacht er auf und in seinem Kopf, seinem Ohr schwirren unzählige wild zusammengemischte bunte musikalische Motive und Themen und ergeben doch ein großes Ganzes – ein bisschen wie ein aus Fundstücken zusammengefügtes Mosaik, das den Atem stocken lässt.
Ganz ähnlich wirkt der Ansatz von „Bilderschlachten“ – eine Performance die sich nicht zuletzt die besagte Komposition von Zimmermann als tragenden Baustein ihres Tableaus gewählt hat. Choreografin Thiersch hat analog collagenhaft, wie Zimmermann in Musik, bewegungskünstlerische Andeutungen bis zur schmerzlichen Überladung zu einem Reigen zusammengefügt. Ein Reigen, der mal gestische Assoziationen mit klanglichen Repetitionen paart, mal aus der Ekstase einer mit Ironie überschriebenen Ballettsprache zehrt, das Wundern über das Unerwartete mit der Tragik eines Pierrot kreuzt. All dies aber überschrieben mit einer engen Verzahnung von live hinter, auf oder auch im Publikum gespielter Musik, Klängen, die zu Bewegungen werden, die zeitgleich das Choreografische hinterfragen, kommentieren.
Die Choreografie aber selbst indes hinterfragt sich, indem sie sich tradierter Stilmittel bedient, die aber durch Überzeichnung in eine Ebene übersteigert, in denen sie neue Bedeutung erhalten. Doch zugleich hat dieser Abend etwas Melancholisches, ganz ähnlich den Emotionen, die wohl einem fiktiven Beobachter eines Weltensturzes ereilen müssten. Ein Zusammenfallen von all dem, was je existiert, an dem wir uns je festgehalten haben. Kulturell. Dies liegt nicht nur an den stillen, manchmal verzweifelt einsamen Momenten, sondern auch an der Musik. Muntendorf hat Zimmermanns Musik in Kontext gesetzt, auch mit ihrer eigenen Komposition „Sechs Stimmungen, Diktatoren zu versetzen / six moods to stand kings up“, die von Klangtupfern bis Rage reicht.
Auf der Reise, die dem Publikum auch mal wahnsinnig – hier wörtlich – humorvolle Momente vor die Füße legt, kommt es zu einer zunehmenden Vermischung von Klangkunst und Bewegungskunst. Das Streichquartett wird zum Performer, ein Performer – Julien Ferranti – singt als Countertenor, der Dirigent des Orchesters – Benjamin Shwartz – tanzt, seine Rolle wird derweil von einer Performerin übernommen. Ein Krönungs- oder Entkrönungsball mit Pseudo-Menuett wird zur knallbunten stereotypen Dada-Alberei mit schwermütigem Unterton. Das Orchester, das lange Zeit hinter einem Schleier zu sehen war, wird letztlich in großen Teilen auch Teil der Performance.
Schließlich mündet alles in einem nicht enden wollenden zirkulären Trauerzug zu Chopins Trauermarsch, um mit einem himmlisch versöhnlichen Beethoven-Quartettsatz zu verscheiden. Wie eine Versöhnung nach einem letzten Kampf der kulturellen Bedeutungen, Deutungen, die, nachdem sie nochmals sich aufbäumten, in einem unbändigen Kampf um ihr Primat schließlich am Ende der Tage erkennen müssen, dass alle Mühe vergebens war. Man möchte weinen.
Jede Auseinandersetzung mit dem Stück kann nur eine Annäherung sein. Man muss es erlebt, erfühlt haben.