Ausstellung So reich ist die Fotografie in Nordrhein-Westfalen

Düsseldorf · Die Düsseldorfer Kunsthalle zeigt die Schau „Subjekt und Objekt“ mit Werken von 107 Künstlern.

Installationsansicht Kunsthalle Düsseldorf. Foto: Katja Illner

Foto: Katja Illner

2015 besuchte der Düsseldorfer Kunsthallenchef Gregor Jansen das Essener Folkwang Museum und staunte über die bildgewaltigen Fotos von Detlef Orlopp. Warum war diese Koryphäe, die 37 Jahre lang an der Werkkunstschule Krefeld und der Hochschule Niederrhein gelehrt hatte, so unbekannt? Jansen entschloss sich zu einer Übersicht über die Entwicklung der Fotografie im Rheinland und Ruhrgebiet. Das Ergebnis ist eine Ausstellung, die am Dienstag am Grabbeplatz in Düsseldorf eröffnet wurde. Eine Totale mit 107 Künstlern.

Die Schau ist eine Fleißarbeit, die Ralph Goertz als Hauptkurator mit Dana Bergmann und Gregor Jansen leistete. 630 Fotografien sind zu verkraften. Sie türmen sich im Kinosaal übereinander, hängen im Treppenhaus, sind an einem offenen Gittersystem von Stellwänden im Emporensaal angebracht, ruhen in Vitrinen und Boxen, aus denen sich die Besucher bedienen können, um ihre eigene Schau zusammenzustellen. Eine Sehschule für Neugierige, die die Verweise und Entwicklungen genießen können.

Das erste Foto stammt von 1949 und ist ein suggestives Umkehrbild von Otto Steinert, die letzten Aufnahmen der jungen Generation sind aus diesem Jahr. Der Bogen dessen, was drei Generation aus der hiesigen Region mit der Kamera in der Hand geschaffen haben, ist weit gespannt. Dabei geraten einige Thesen ins Wanken. Die Ausstellung nennt sich zwar „Subjekt und Objekt“, wobei man eine Zeitlang die Essener Schule in der Nachfolge von Otto Steinert mit der subjektiven Fotografie gleichsetzte und die Becher-Schule mit der objektiven Fotografie. Aber diese Einordnungen taugen nichts. Andreas Gursky oder Thomas Ruff würden jeden auslachen, der ihre Fotos auf die Dokumentation hin abklopft. Und die Nachfahren des promovierten Mediziners und Hochschullehrers Steinert sind ausgebildete Reportage-, Industrie-, Sach- und Porträtfotografen.

Die 630 Fotografien türmen sich im Kinosaal übereinander, hängen im Treppenhaus, sind an einem offenen Gittersystem von Stellwänden im Emporensaal angebracht und ruhen in Vitrinen und Boxen.

Foto: Katja Illner

Die Kuratoren vermeiden es, der Ausstellung Ordnungssysteme zu verpassen. Das gesamte Fachwissen wird in den herausragenden Katalog im Verlag Walther König verbannt. Bewusst wird vermieden, den Spuren des Kunstmarkts zu folgen und die Becher-Schule zu glorifizieren. Im Gegenteil: Die Folkwangschule in Essen hat noch immer die Nase vorn. Dort lehrte schon Albert Renger-Patzsch vor dem Zweiten Weltkrieg und richtete Steinert 1959 die erste Klasse für Fotografie im Nachkriegs-Deutschland ein. Werkkunstschulen und Fachhochschulen in Köln, Dortmund, Bielefeld und Krefeld folgten. Düsseldorf war das Schlusslicht. Nur die Tatsache, dass Bernd Becher an der Kunstakademie eine Professur für Fotografie erhielt, war neu. Es geschah im Jahr 1976, zwei Jahre vor dem Tod von Steinert.

Nordrhein-Westfalen gilt als das Bundesland mit dem differenziertesten Studienangebot für Fotografie in Deutschland. Es verfügt über die meisten Studienplätze und Standorte für dieses Fach. Die Düsseldorfer Kunstakademie bildet dabei mit dem einen Professor Christopher Williams das Schlusslicht. Blühend hingegen die Kunsthochschule für Medien in Köln, die die freie Fotografie im Kontext neuer, vor allem elektronischer Medien sieht.

Die Ausstellung vermeidet jedoch den Leistungsvergleich, denn da wäre Essen mit seinem breiten Angebot kaum zu überbieten. Die Schau wirkt vielfach wie ein Ratespiel. Sind das nicht Porträts von Ruff? Pech gehabt, die frühen, farbigen Bilder stammen von Axel Hütte, der sie 1979 machte. Oder nein, der erste, der so asketisch die Gesichter aufnahm, ist Orlopp. Der 83-jährige, der heute in Sankt Goar lebt, fixiert auch im hohen Alter die Menschen in einer erstaunlich asketischen Weise auf seine Schwarzweiß-Abzüge. Als wisse Thomas Ruff, was ihm in einer solchen Ausstellung blüht, zeigt er seine Selbstbildnisse als Stipendiat in Paris, wobei er in turnerischer Akrobatik mit den Möbeln spielt, die er kurz zuvor noch als Meisterschüler von Becher in seinen Interieurs zelebriert hat.

Es gibt Persönlichkeiten, die wie Jitka Hanzlová aus Essen längst eine große Einzelausstellung verdient hätten, reflektiert sie doch in ihren Porträts immer zugleich den Lebensraum der Menschen. Auch André Gelpke gehört dazu, dessen Serie „Rocker und Sexdarsteller“ aus St. Pauli eigentlich schon Kultcharakter hat. Zu den Überraschungen gehören die frühen Portraits Candida Höfer, die knapp zehn Jahre vor ihrem Studienbeginn bei Becher entstanden. Über all der Bilderflut turnt Katharina Sieverdings Selbstbildnis, während Hans-Peter Feldmann stoisch seine Brotscheiben aufreiht, Jürgen Klauke sein Alter Ego doppeldeutig performt und die Blumes ihre Teller und Kannen im dadaistischen Slapstick auflösen.

Leider ist die Werbefotografie ausgespart, die so unendlich viel zum Aufstieg der Fotokunst beigetragen hat. Einen kleinen Ersatz gibt Andreas Gursky, indem er das Farbbild seines Vaters Willy entleiht, mit Jung-Andreas auf dem Fußboden, den Kopf in die Hände gestützt und interessiert der Pediküre des Models zuschauend. Unverzeihlich ist auch, wieso Erna Wagner-Hehmke ausgeklammert wurde, die schon in den 1930er Jahren vor keinem Hochofen zurückschreckte und die nach dem Krieg zur Dokumentaristin der jungen Bundesrepublik wurde. Aber dieses Panorama wird nicht das letzte sein.