Preisverleihung Literaturpreis für Karen Duve: Zwei Frauen mit außergewöhnlichen Biografien
Düsseldorf · In ihrem Roman schreibt Karen Duve über die junge Annette von Droste Hülshoff. Aber auch sie selbst hat viel erlebt.
Eine Frau zwischen zwei Männern. Eine Konstellation, die im frühen 19. Jahrhundert meist kein gutes Ende nahm. Besonders nicht für die Frau, selbst wenn sie zum Adel gehörte, wie Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848). Die Autorin, deren „Judenbuche“ für Generationen von Pennälern zum Klassikkanon gehörte, zerrieb sich um 1820 zwischen August von Arnswald, einem reaktionären Burschenschaftler mit elegant wallender Mähne, und dem Studenten Heinrich Straube: bitterarm und wenig ansehnlich. Arnswald stellte ihr eine Falle und kompromittiert sie mit einem Kuss im Gewächshaus. In der damaligen Zeit ein Skandal – von da an galt das Fräulein als unvermittelbar.
All diese biografischen Details verarbeitete Karen Duve in ihrem vierten Roman „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ – ein von der Kritik hoch gelobtes Buch, das der gebürtigen Hamburgerin jetzt den „Düsseldorfer Literaturpreis“ einbrachte. Der zum 18. Mal von der Kulturstiftung der Stadtsparkasse Düsseldorf mit 20 000 Euro dotierte Preis wurde am Mittwoch in der Zentrale Berliner Allee an die Autorin verliehen.
„Die Droste und ihre Geschichte werden sehr lebendig. Es ist humorvoll und spannend erzählt, so dass man gar nicht mehr aufhören will“, lobt Karin-Brigitte Göbel die Preisträgerin. Die Stadtsparkassen-Chefin – die qua Amt nicht zur Jury gehört, am Abend aber den Preis überreichte – hat zwar das Werk noch nicht ganz zu Ende gelesen, findet es aber jetzt schon ein „fesselndes Buch“.
Der ersten Lyrikerin Westfalens, die in der Burg Hülshoff bei Münster lebte, wurde also übel mitgespielt. Sie geht aber nach dem Skandal in dem besagten Sommer (sie war gerade über 20) nicht in der Opferrolle auf. Stattdessen beginnt die Droste, die im Inner Circle mit „Fräulein Nette“ angesprochen wird, zu schreiben.
Diese Einzelheiten hat Karen Duve für ihren liebestragischen Roman akribisch recherchiert. Sie umgab sich, wie Lobrednerin Verena Auffermann berichtet, jahrelang mit Porträts der Titelheldin, von Heinrich Straube (der einzige, der damals Drostes Talent erkannte), von Onkeln, mit Zeichnungen von Emil Grimm (einer der Märchen-Brüder), und Abbildungen der Meersburger Burg am Bodensee, wo Annette starb und begraben liegt, außerdem mit Faksimiles von Briefen und Landkarten von Westfalen.
Eine Heiligenlegende wurde aber nicht daraus. „Ich wollte ein Buch über die Zeit schreiben und über die strengen Konventionen in Westfalen“, unter denen eigenwillige Frauen wie Annette besonders litten. Die Dreiecksgeschichte habe sie empört, so Duve, die fast sechs Jahre intensiv nachforschte und 2016 den ersten Satz des Werks niederschrieb. Das Ergebis, so Auffermann: ein Gesellschaftsbild über das verschrobene Milieu im westfälischen Adel und Annettes skurriler Verwandtschaft in frühindustrieller Zeit. Die Mentalität dieser Region und „der westfälische Ton haben sich in sie hineingefressen“, sagt die renommierte Kritikerin.
Viele sehen in der Droste eine Langweilerin. „Nein!“ empört sich Karen Duve. „Als Frau war sie selbstbewusst, als Autorin ihrer Zeit weit voraus. Sie schrieb psychologisierend – lange, bevor diese Betrachtungsweise (im späten 19. Jahrhundert) aufkam“, erklärt Duve. Zudem hat sie an sich als Autorin geglaubt, obwohl das mit der tradierten Rolle der Frau kaum vereinbar war.
Eigenwillig für eine Schriftstellerin heute ist ebenso Karen Duves Werdegang. Geboren 1961, begann sie nach dem Abitur eine Lehre als Steuerinspektorin, brach sie ab und arbeitete als Lektorin für eine Zeitschrift. Sie schlug sich 13 Jahre lang als Taxi-Fahrerin durch – Erfahrungen, die sie 2015 in ihrem Bestseller-Roman „Taxi“ verarbeitete. Seit 1996 lebt sie als freie Schriftstellerin in der Märkischen „Schweiz“ in Brandenburg.
Woran sie derzeit schreibt? „Verrat’ ich nicht“, lächelt sie. Vermutlich wird es wieder ein Buch über eine historische Epoche.
Karen Duve, „Fräulein Nettes kurzer Sommer“, Galiani-Verlag, Berlin 2018.