Tanzhaus NRW Ein postapokalyptischer Triumphmarsch

Düsseldorf · Lia Rodrigues Companhia de Danças zeigte „Fúria“ im Tanzhaus – schwere Kost, aber grandios.

 „Fúria“ von Lia Rodrigues war im Tanzhaus zu sehen.

„Fúria“ von Lia Rodrigues war im Tanzhaus zu sehen.

Foto: Sammi Landweer

Die nackte Bühne des Tanzhauses ist dunkel; auf ihr werden später viele nackte Körper zu sehen sein. Im hinteren Teil lässt sich eine verwahrloste Lagerstatt erahnen. Plastikmüll, Planen, bunte Fetzen sind akkumuliert zu einem Wust, das so anmuten mag wie ein Fanal für die Überbleibsel unserer Konsumkultur. Langsam dimmt sich das Licht hoch und Körper werden sichtbar. Dort liegen Menschen – sind es Tote, sind es erschöpfte Kämpfer nach einer postapokalyptischen Schlacht oder einfach nur arme Obdachlose mit notdürftig zusammengetragener Habe? Ein junger Mann streckt sich langsam empor, um wie in Zeitlupe eine Fahne zu greifen, er steht gebückt auf und zunächst zögerlich dann immer impulsiver setzt sich ein lethargischer Marsch, ein Zug nach vergeblicher Schlacht in Bewegung. Von Stöhnen begleitete Geräusche wie aus einer von geschundenen Arbeitern betriebenen großen Manufaktur mischen sich in die Stille. Es sind beschädigte Menschen, die sich mit spürbarer Wut zu einer Art Prozession formen. Manche ziehen Gefallene hinter sich. Eine Szenerie, wie aus einer nach-nuklearen Dystopie. Doch es wird noch bedrückender, noch einnehmend aufwühlender werden in Lia Rodrigues Choreografie „Fúria“. In der Produktion von Lia Rodrigues Companhia de Danças mit Unterstützung von Redes da Maré e Centro de Artes da Maré, koproduziert durch Chaillot – Théâtre National de la Danse, mischen sich Erfahrungen aus der aktuellen politischen Situation in Brasilien mit mythischen, expressionistisch bewegten Bildern. Eine bemerkenswerte Performance im Tanzhaus NRW.

Die Performer Clara Cavalcanti, Valentina Fittipaldi, Larissa Lima, Leonardo Nunes, Carolina Repetto, Andrey Silva, Karoll Silva, Felipe Vian und Ricardo Xavier werden bis an die Grenzen des Erträglichen – auch tänzerisch – gehen müssen. Kostümiert in sonderbar anmutenden Fetzen, die mal diese oder jene Assoziation zulassen, teilweise mit bemalten Körpern, immer wieder auch gänzlich nackt, rotten sie sich zusammen. Mal erhebt sie einer zum König der Fúrien, der Rachegöttinnen, und die Bilder wirken wie Triumphmärsche einer versklavenden Macht. Menschen werden als Triumphwagen missbraucht, geschleudert, kriechen und raffen sich empor, um sich zum neuen Führer zu erklären, wieder andere geraten in zuckende Anfälle von aggressivster Wut oder Verzweiflung, greifen sich an die Genitalien, erniedrigen sich gegenseitig. Dann wiederum wirkt die Szenerie wie eine aus den Fugen geratene Techno-Party. Manche Stelle erinnert an eine lebendig gewordene Verkörperung von Picassos Guernica oder Höllen-Abbildungen von Hieronymus Bosch.

Rodrigues´ Arbeit bietet viele Assoziationsschichten, wirkt trotz des „Schmutzes“ bisweilen wie eine göttliche Komödie, wobei diese bösartigen Götter vor Wut schäumen und die Komödie eine bittere ist. Die Tänzer beweisen enorme – auch schauspielerische – Kraft. Die gesamte Dimension des Stückes ist schwierig zu beschreiben. Es ist nichts für sanfte Gemüter, insbesondere der Schlussakkord, in dem einer der Tänzer einen in einer synthetischen Sprache gehaltenen Monolog hält, verstörend, blutig, unverständlich und doch so grandios.