Tonhalle Die große Kunst des Crescendo

Düsseldorf · Pianist Jan Lisiecki wurde begleitet von der Tschechischen Philharmonie.

 Der kanadische Pianist Jan Lisiecki spielte in der Tonhalle. (Archivbild)

Der kanadische Pianist Jan Lisiecki spielte in der Tonhalle. (Archivbild)

Foto: Angelika Warmuth/dpa

Ein Crescendo, das Anschwellen von Musik, ist viel mehr als nur eine Erhöhung der Lautstärke. Vielmehr heißt es, die Noten mit Leben zu füllen, ihnen eine Richtung, eine Dimension zu geben und aus dem Ausdruck heraus die Intensität anwachsen zu lassen. Dies auf dem Klavier überzeugend zu tun, erfordert eine große Sensibilität des Interpreten, aber auch das Talent, Tönen mit den Möglichkeiten des Anschlags auf dem Klavier eine variierende Färbung zu verleihen. Eine der wohl prägnantesten Stellen in der Klavierliteratur, die derartiges vom Pianisten im Schlaglicht eines großen Klavierkonzertes verlangen, sind die ersten acht Takte von Sergei Rachmaninows zweitem Klavierkonzert op. 18 in c-Moll.

Und es war mehr als beeindruckend, den jungen kanadischen Pianisten Jan Lisiecki diese ersten Takte bei dem jüngsten Meisterkonzert von Heinersdorff in der Tonhalle spielen zu hören. Akkorde, begleitet von einem oszinatem tiefen Ton, konzentriert, fast manisch, steigern sich Takt um Takt. Lisiecki vermag jedem Ton eine leicht andere Färbung zu geben, gewichtig, zunächst weich wie ein schwerer Stein, der auf ein samtenes Kissen fällt, dann schwerer wie ein bleierner Schlag auf weiche Erde und schließlich mit Akzent, als würde man Hartes Metall auf einen rauen Betonboden fallen lassen. Was folgt, ist Virtuose Klavier-Magie, ganz im Stile des russischen Spätromantikers, dessen Musik immer zwischen einem Hauch erotischer Hingabe, schwelgerischer Sehnsucht und tiefster Depression changiert. Lisiecki beißt sich förmlich in die perligen Passagen, verleiht ihnen eine fast schmerzliche Prägnanz, die sich in einem immer wieder auftretendem Kopfwackeln und Zittern widerspiegelt.

Die Tschechische Philharmonie unter der mit feinsten Gesten gelenkten Leitung ihres Chefs Semyon Bychkov liefern den dazu passenden Orchesterteppich. Bychkov ist für das rheinische Publikum kein Unbekannter, war er doch von 1997 bis 2010 Chefdirigent des WDR-Sinfonieorchesters. Seit 2018 hat er diese Position bei den Tschechen inne und lenkte das erstklassige Orchester mit viel russischem Geist durch die Partitur. Bei Rachmaninows Klavierkonzerten gibt es durchaus gewisse Fallstricke, nicht nur pianistischer Natur, die jeden Musiker an die Grenzen des Erträglichen bringen, sondern auch was das Zusammenspiel von Klavier und Orchester angeht. So sehr das Pianoforte solistisch zu glänzen hat, bedarf es eines Verschmelzens von Klavier- und Orchesterklang. Ist das nicht bei jeder Klaviermusik mit Orchester nötig? Doch, aber bei Rachmaninow muss sich der Pianist mit oder gegen einen sattest orchestrierten Teppich durchsetzen. Lisiecki gelingt dies, wenngleich er manchmal forcieren muss. Jene Momente besonderer Konzentration sind es, die ihm dieses ungesund aussehende Kopfzittern entlocken.

Nach der Pause ließen die Prager mit Bychkov russische „Winterträume“ in Düsseldorf aufblühen. Mit Tschaikowskys Sinfonie Nr. 1 in der so vielsagenden Tonart g-Moll zeigten die Philharmoniker zweifelsfrei, was in Tschaikowskys Musik verborgen liegt: Ein unaussprechliches Geheimnis?